Lutz Wauligmann: Siehste, so isses…


Vielleicht werden mich einige für verrückt erklären (Apropos: verrückt – Mama, weer all crazee now!!), aber ich ertrappe mich um zwei Uhr morgens dabei, wie ich überlege, ob Lieschen in Ostfriesland oder Ulli in Berlin oder Marianne in Niederbayern wohl entdeckt, dass ich in der letzten ME ‚Stealers Wheel‘ mit ‚ee‘ statt mit ‚ea‘ geschrieben hab‘. Nun, im allgemeinen versuche ich meinen Job nicht gerade toternst zu nehmen und recht locker zu bleiben. Lieber mal meine Klatschspalte einen Monat lang ausfallen lassen (wie in der letzten ME) anstatt mir im totalen Stress meine Nerven kaputtzumachen und trotzdem nur nichtssagendes Gefasel zu verzapfen. Es gibt in der Rockmusik-Scene hin und wieder Ereignisse oder Zustände, die mich so nerven oder so enorm antörnen, dass ich mich wirklich freue, meine Plauder-Ecke zu haben, in der ich so richtig Dampf ablassen kann. Auf Anhieb fällt mir z.B. ein, dass ich langsam aber sicher anfange, mich über die vielen Oldies-Platten zu ärgern, die augenblicklich unheimlich Mode zu sein scheinen.

Im Anfang fand ich es ganz lustig, die alten Scheiben hin und wieder zu hören. Mittlerweile ist es aber so schlimm, dass man beinahe mehr Oldies als Neuaufnahmen im Radio hört. Sollten die Plattenfirmen sich aus lauter Bequemlichkeit etwa daran gewöhnt haben, lieber ‚Oldies‘ herauszubringen anstatt sich an die weitaus schwierigere Aufgabe heranzumachen und endlich mal wieder ein paar dufte, aber noch unbekannte Bands zu ‚entdecken‘?

In dieser ME-Ausgabe gehen wir mit gutem Beispiel voran und stellen eine Reihe noch nicht allzubekannter Gruppen vor. Die meisten von ihnen hab‘ ich selbst bereits ‚live‘ erlebt und unter der Stereo-Nadel angetestet. Mein Tip: Sperrt eure Hör-Dinger auf. Es lohnt sich bestimmt.

Noch eine Sache, die einige Zeit in meinem Gehirn herumkreiste, war eine Diskussionssendung mit verschiedenen Popmusik-Journalisten, an der ich teilgenommen hatte. Das Projekt war vom Südwestfunk Baden-Baden geplant und wurde neulich ‚live‘ ausgestrahlt. Abgesehen davon, dass es mein erster ‚Live-Auftritt‘ im Rundfunk war und ich die entsprechende Nervosität zu verbergen hatte, kam mir die Sache rückblickend betrachtet ein wenig spanisch vor (Spanisch = komisch – für alle, die glauben, dass man meinen Slang in Bayern oder sonstwo nicht versteht. Jaja, immer wieder müssen die Bayern dran glauben. Ich kann nur sagen: lasst euch nicht unterkriegen .. .)

Wo war ich stehengeblieben? Ach ja, die Sache mit dem Rundfunk. Die Idee der Sendung war recht dufte; Hörer konnten anrufen und Fragen aller Art an die Musik-Redakteure stellen. Seltsam fand ich’s aber, dass fast nur über Politik geredet wurde. Faszinierende linksradikale Phrasen wurden gedroschen, die interessant gewesen wären, wenn man sie nicht schon vor zwei, drei Jahren gehört hätte.

Diese politischen ‚Oldies‘ haben mich ganz schön gelangweilt, während ich gerne darüber diskutiert hätte, wie die Stars, die direkt mit Musik zu tun haben, es wohl anstellen, dass sie in der grossen Mehrzahl so dufte Typen sind. Ich finde nämlich, dass man am schnellsten zu einer duften politischen Gesellschaftsform kommt, wenn man damit anfängt, selbst ein dufter Typ zu werden. Wir haben alle unsere Fehler, aber je mehr wir an uns arbeiten, umso dufter wird im Endeffekt die ganze Gesellschaft. Right? Siehste, so isses . . .