ME-Helden: Kate Bush


Teil 6 unserer Serie ME-Helden: Elfengesang, Ausdruckstanz und die Poesie menschlicher Abgründe. Mit dieser erstaunlichen Mixtur sprengt Kate Bush Ende der 70er-Jahre die Kategorien der Popmusik. Sie ist die ungewöhnlichste Singer/Songwriterin, die England jemals hervorgebracht hat.

In unserer neuen Serie ME-Helden porträtieren wir Bands, die unser Leben beeinflusst haben. Den Auftakt bildete Jim Morrison und seine Band The Doors – Musik aus den Sechzigern, die Pate stand für viele Gruppen, die nach ihnen folgten. Die weiteren Teile der Serie widmen wir jüngeren Bands oder Musikern, die die ME-Redakteure und unsere Leser prägten. Teil 2 drehte sich um die Pixies. Der dritte Teil widmete sich Brian Eno, der vierte sich Nirvana und zuletzt porträtierten wir The Smiths.

Der sechste Teil unserer Serie dreht sich um Kate Bush.

Stellen wir uns das England des Jahres 1978 als eine Zeit der Umbrüche und Verwerfungen vor: Die Sex Pistols lösen sich, nachdem sie das größtmögliche Chaos verursacht haben, noch im Januar im Rahmen einer Amerikareise auf, und überlassen ungezählten aufstrebenden Rotzlöffeln das Feld; die Vertreter der etablierten Rockmusik stehen ratlos daneben, verstehen die Welt nicht mehr und beginnen allmählich daran zu zweifeln, dass sich das jemals wieder ändern wird; und die jungen Leute, denen die Richtungskämpfe des Gitarrenrocks weitgehend egal sind, gehen hingegen lieber in die Disco und tanzen mit großer Wahrscheinlichkeit gerade zu den Bee Gees. Während also alles drunter und drüber geht, taucht plötzlich ein neunzehnjähriges Mädchen namens Kate Bush auf: große Augen, wildes Haar und eine Stimme, die so hervorragend quietscht, dass sie an einen Sack voller Katzen erinnert. Im Video zu ihrer ersten Single „Wuthering Heights“ übt sie sich in einem weißen Kleid in der Kunst des Ausdruckstanzes, zieht Grimassen und ruft in höchstmöglicher Tonlage „Cathy“ und „Heathcliff“ und dann wieder „Cathy“. Mit den Handflächen beschreibt sie eine imaginäre Wand, geht daran entlang, als suche sie Einlass. Dabei ist sie längst schon drin, im Herzen und im Kopf. Wer „Wuthering Heights“ einmal hört, bekommt es nicht wieder aus dem Sinn.

Die Sängerinnen, die England bis dahin gewohnt ist, heißen Lulu, Dusty Springfield oder Sandy Shaw, deren größter Eigensinn etwa darin besteht, sich barfuß auf die Bühne zu stellen. An Kate Bush gibt es wiederum kein Detail, das nicht eigensinnig ist: der Gesang, das Auftreten, der Umstand, ausgerechnet Emily Brontës viktorianischen Romanklassiker „Wuthering Heights“ von 1847 zum Thema eines Popsongs zu machen. Seltsamerweise kommt Bush damit an allen Fronten wunderbar an. Die einen schätzen die virtuose Musikalität, die anderen ihren radikalen Individualismus. Johnny Rotten von den Sex Pistols ist ein Fan der ersten Stunde und bekennt in einem Interview mit der BBC: „Ihr Gequietsche und Geträller ist von unglaublicher Schönheit für mich.“

Als „Wuthering Heights“ am 4. März 1978 Abbas „Take A Chance On Me“ von der Spitze der britischen Charts verdrängt, ist Kate Bush die erste Frau, die mit einem selbst geschriebenen Song einen Nummer-eins-Hit in England hat. Ein rasanter Karrierestart, der ihren Pioniergeist weiter beflügelt. Sie wird sich als herausragende Songschreiberin erweisen und die Möglichkeiten der Studiotechnik vorantreiben. Dabei reift sie zu einer erstklassigen Produzentin, und verändert damit die Art, wie Frauen im Pop wahrgenommen werden. Sie ist die erste Frau im Musikgeschäft, die ihr Schaffen komplett kontrollieren kann. Sie entzieht sich den üblichen Vermarktungszwängen, weil sie Besseres zu tun hat, und erzielt dennoch einen beachtlichen kommerziellen Erfolg. Kurzum: Kate Bush wird über die Jahre zu einem einzigen Alleinstellungsmerkmal. Natürlich ist auch Joni Mitchell eine hervorragende und wegweisende Songschreiberin, die nicht dem Frauenbild im Pop entspricht und die sich der Musikindustrie nach Kräften entzogen hat. Doch Mitchell blieb eine „Musiker-Musikerin“, Kate Bush hingegen war und ist Pop – und zwar ohne es anzustreben. Sie hat den Weg geebnet, den Künstlerinnen wie Björk, Tori Amos, PJ Harvey, Joanna Newsom und viele andere später gegangen sind. Selbst, wenn diese sich nicht direkt auf sie beziehen.

Kate Bush kommt als Catherine Bush am 30. Juli 1958 in der Nähe von London in der Grafschaft Kent zur Welt. Der Vater ist Arzt und versierter Freizeitpianist, die irische Mutter eine Krankenschwester und ehemalige Folkloretänzerin. Bushs beide älteren Brüder John und Paddy sind wiederum in der örtlichen Folk-Szene engagiert, die junge Kate ist also von klein auf umgeben von Musik. Mit elf Jahren bringt sie sich selbst das Klavierspielen bei, bekommt darüber hinaus Geigenunterricht und spielt in der alten Scheune ihres Bauernhauses in East Wickham Stunde um Stunde auf einer alten Orgel.

Mit zwölf schreibt sie ihre ersten Songs und hat bald eine beachtliche Anzahl zusammen. Als Ricky Hopper, ein Freund der Familie mit Beziehungen zur Musikindustrie, davon hört, ermutigt er die Bushs, ein Demoband mit Kates Kompositionen aufzunehmen. Der Legende zufolge sind darauf jede Menge Stücke zu hören – die Angaben schwanken zwischen dreißig und fünfzig –, doch die Masse scheint keinen Eindruck zu machen, keine der Plattenfirmen, denen man das Band schickt, reagiert. Ganz und gar nicht entmutigt bringt Hopper daraufhin einen alten Bekannten ins Spiel, den Pink-Floyd-Gitarristen David Gilmour, der für die Plattenfirma EMI gerade auf Talentsuche ist. Mit Gilmours Hilfe und etwas professionelleren Aufnahmen geht es in eine neue Bewerbungsrunde – dieses Mal mit Erfolg. Im Alter von sechzehn Jahren unterschreibt Kate Bush bei EMI ihren Vertrag. Doch die Plattenfirma drängt sie nicht sofort ins Studio, sondern gibt ihr einen überschaubaren Vorschuss sowie ein wenig Zeit, um sich künstlerisch zu entwickeln – auch in der bescheidenen Hoffnung, dass sich ihr Eigensinn mit Beendigung der Pubertät vielleicht etwas legen möge.

Bush nutzt die Gelegenheit, um die Schule zu verlassen, zwar zum Entsetzen der Eltern, dafür aber mit Bestnoten. Sie zieht nach London, probiert sich mit ihrer Band vor Publikum aus, spielt in Pubs. Eines Abends sieht sie im Collegiate Theatre die Produktion „Flowers“ des Performance-Künstlers und Pantomimen Lindsay Kemp. Sofort erkennt sie, dass Kemps Art des Ausdruckstanzes ihrer Musik jene zusätzliche Dimension bieten könnte, die sie immer gesucht hat. In den folgenden Monaten nimmt sie bei ihm Unterricht. Lindsay Kemp hatte bereits mit David Bowie an dessen „Ziggy Stardust“-Show gearbeitet und war stolz darauf „Bowies Körper befreit“ zu haben. Anschließend konnte er sich glücklich schätzen, auch Kate Bush den Weg gewiesen zu haben.

Man schreibt das Jahr 1977, als Bushs Plattenfirma befindet, dass es nun Zeit für das erste Album sei. Andrew Powell, der auch Bushs Demo aufgenommen hat, wird als verantwortlicher Produzent nominiert und wünscht sich, dass nicht Kates Bandkollegen mit ins Studio gehen, sondern Sessionmusiker. Einer von ihnen, der Perkussionist Morris Pert, erinnert sich: „Wir dachten alle, dass sie eine von diesen jungen Dingern ist, die irgendwelche Popsongs singen, aber nach etwa zwanzig Minuten war klar, dass wir uns getäuscht hatten.“ Die Musiker sind von den Kompositionen, von den Texten und ihrer grundsympathischen Art beeindruckt. Nach dem ersten Studiotag treffen sie sich zum Feierabendbier in einem Pub und kommen zu dem Schluss, dass Kate Bushs Album entweder zum Fiasko gerät oder eine Revolution auslösen wird.

Einigermaßen verwundert ist auch das Label, als es bei der Covergestaltung zu ersten Meinungsverschiedenheiten kommt. Die EMI wünscht sich sinnliche Fotos, doch Kate Bush fordert eine komplizierte, irgendwie asiatisch anmutende Grafik, bei der man sie in einem Drachen hängen sieht, weswegen die Albumveröffentlichung um einige Monate verschoben werden muss. Gleich anschließend gibt es Streit wegen der ersten Single. Die Plattenfirma setzt auf den eher konventionellen Rocksong „James And The Cold Gun“, aber Bush beharrt auf „Wuthering Heights“ und bekommt ihren Willen. „Meiner Meinung nach war das einfach der interessantere Song“, sagt sie später dazu. In seinem Buch „Warten auf Kate“ von 2004 schreibt John Mendelssohn: „Alles an dem Song war sensationell, übermütig, unwiderstehlich, unabweislich, wunderbar, ein belebender frischer Wind! Verglichen damit kann man die erste Single der Beatles, ,Love Me Do‘, oder die erste Single der Rolling Stones, ,Come On‘, nur als Lachnummer bezeichnen.“

Wie es ihr gelungen ist, sich mit nur neunzehn Jahren und ohne nennenswerten Rückhalt gegen die Vorstellungen ihres Labels durchzusetzen, gibt bis heute Rätsel auf. Es verdeutlicht aber auch, dass Kate Bush die Vorstellung, dass andere Leute über ihre Musik befinden, geradezu unerträglich findet. Auch wenn sie anfangs noch kleinere Niederlagen einstecken muss, die vor allem der Unerfahrenheit geschuldet sind, ist ihre gesamte Karriere von der Absicht getragen, die komplette Kontrolle über ihr Schaffen zu haben.

Dabei darf man sich Kate Bush nicht als Machtmenschen vorstellen, nicht intrigant, strategisch oder manipulativ. Nie würde sie sich rücksichtslos ihren Weg bahnen. Wer sie je getroffen hat oder gesprochen, wird beschwören, dass sie eine ganz zauberhafte Person ist, klug, charmant und auch bescheiden. Sie umsorgt ihre Fans, schmiert den Mitarbeitern Brote und beantwortet jede noch so dumme Frage der Medien mit denkbar größtem Gleichmut. Und dumme Frage gibt es offenbar genug. Presse, Funk und Fernsehen sind verblüfft, hingerissen und verwirrt zugleich. Was mit ihr anzufangen sei, ist niemanden so ganz klar. Ihr Albumdebüt The Kick Inside birgt gleich ein ganzes Bündel ungewohnter Themen. Bush singt über Literatur und Monatsblutungen und auf eine Weise über Sex, als würde sie es ernst meinen. Mit solch einer Künstlerin hat man es noch nicht zu tun gehabt. Weil man keinen anderen Rat weiß, behandelt man sie einfach wie ein Kind: „Ist Kate Bush dein richtiger Name?“ „Wie alt bist du?“ „Was machst du mit deinem Haar?“ Höflich und wohlerzogen, wie sie ist, antwortet sie geduldig. Der Erfolg von Single und Album übertrifft unterdessen alle Erwartungen und beeinflusst ganze Generationen von Musikern. Björk sagt etwa, dass während ihrer Pubertät Kate Bush die wichtigste Musikerin gewesen ist. Und Antony Hegarty von Antony & The Johnsons erinnert sich, wie er als Siebenjähriger das Video „Wuthering Heights“ zum ersten Mal sieht und Kate Bush zu seinem Vorbild erklärt. In dem Video sieht man sie in einem weißen Kleid in Zeitlupe das Rad schlagen. Zur Freude von Eltern und Nachbarn ist der kleine Antony davon derart begeistert, dass in ihm der Bodenturner geweckt wird und er es ihr gleichtut. The Kick Inside ist für ihn, über dreißig Jahre nachdem er es gekauft hat, immer noch eines der wichtigsten Alben überhaupt.

Doch Erfolg und Bewunderung sind bekanntlich flüchtige Gesellen, weshalb ihre Plattenfirma befindet, Bush müsse gleich anschließend noch ein weiteres Album aufnehmen. Die Künstlerin gibt sich überraschend folgsam und veröffentlicht bereits im November 1978, nur acht Monate nach The Kick Inside, ihr zweites Album Lionheart. Darauf gibt es Lieder über einen Piloten, der im Kampfeinsatz abgeschossen wird und im Fallen über die Lage der Nation sinniert („Oh England, My Lionheart“), über Schein und Wirklichkeit des Lebens auf der Bühne („Wow“) und ein glückliches schwules Paar, das von seinen garstigen Verwandten gemieden wird („Kashka From Baghdad“). Von der thematischen Vielfalt einmal abgesehen, ist Bush mit dem Ergebnis allerdings nicht zufrieden, hat aber kaum Zeit, sich ihrer Unzufriedenheit zu widmen.

Weil Musiker mit ihrer Musik üblicherweise auf Tour gehen, denkt auch Kate Bush über eine Konzertreise nach, nur dass das Konzert, mit dem sie auf Reise gehen will, eigentlich nichts mit einem üblichen Konzert zu tun hat. Ihr schwebt eine rund 150-minütige Multimedia-Show vor, der Titel des Projekts lautet „Tour of Life“. Die Planungsphase dauert etwa ein Jahr, geprobt wird vier Monate lang. Im April 1979 geht es los. Neben Kate Bush sind diverse Tänzer und ein Magier auf der Bühne zu sehen. Jeder der insgesamt 24 Songs ist als Einakter zu verstehen. Exakt siebzehn Mal zieht sie sich um. Mal ist sie ein Cowgirl, mal Zigeunerin, mal Henkerin. Sie tritt im Frack mit Zylinder auf und auch im Trenchcoat. Wenn sie mal etwas länger braucht, um das Kostüm zu wechseln, liest ihr Bruder John ein passendes Gedicht vor. Es gibt Videoprojektionen, aufwendige Kulissen und Nebelschwaden aus Trockeneis. Weil das Singen, Tanzen und gleichzeitige Mikrofonhalten aber selbst die Möglichkeiten von Kate Bush übersteigt, wird ihr aus Kleiderbügeln eine Halterung gebastelt, die man als Prototyp des Headsets betrachten darf, auf das heute selbst jene Künstler nicht verzichten mögen, die nur zur Playbackbegleitung singen. Überhaupt gilt die „Tour of Life“ als Vorwegnahme der ganzheitlichen Konzertspektakel mit Tanz und Gesang, wie sie spätestens seit Michael Jackson bei Weltstars die Regel sind. Doch auch wenn Kate Bush mit ihrer Show die Kunst der Popkonzerte revolutioniert hat, verliert sie daran das Interesse. Nach der letzten Show am 13. Mai 1979 geht sie nie wieder auf Tour, es gibt bestenfalls vereinzelte Auftritte, aber keine vollgültigen Konzerte. 

„Warum?“, wird sie immer wieder gefragt, ob es ihr denn keine Freude gemacht habe? „Doch“, antwortet sie dann, es habe ihr sogar sehr viel Freude gemacht, es sei bloß so zeitraubend gewesen, und sie würde viel lieber die Zeit damit verbringen, einfach zu leben. Es gibt Popstars, die den Rummel um ihre Person genießen, es gibt welche, die sich darüber bitterlich beklagen – und es gibt Kate Bush. Nicht einmal zwei Jahre nach ihrem Durchbruch, auf dem vorläufigen Höhepunkt ihres Erfolgs – in England ist man ganz vernarrt in sie – wirft sie einen prüfenden Blick auf ihre Karriere und befindet, dass es wohl das Schlaueste sei, sich dem Rummel zu entziehen. Interviews werden nur noch gewährt, wenn es ein neues Album gibt, öffentliche Auftritte auf ein notwendiges Minimum reduziert. Heute sagt sie: „Mir wurde damals klar, wie viel Zeit ich eigentlich mit der Vermarktung verschwende. Zeit, die ich doch eigentlich dafür nutzen könnte, neue Musik zu schreiben. Also habe ich damals ganz bewusst die Entscheidung getroffen, lieber meine Arbeit für mich sprechen zu lassen und nicht so sehr mich selbst.“

Zeitgleich sichert sie sich die volle Kontrolle über ihr Werk. Sie gründet eine Managementfirma und einen Musikverlag. Dass man sie nie mehr zur raschen Produktion eines Albums drängt, wie es ihr bei Lionheart passiert ist. Sie will nur noch machen, was ihr künstlerisch zusagt. Passenderweise hat sie sich in der Zwischenzeit eingehend mit den Feinheiten der Aufnahmetechnik beschäftigt und nach einem Besuch im Studio von Peter Gabriel auch ein neues Spielzeug für sich entdeckt: den Fairlight CMI, den ersten digitalen Synthesizer mit Sampling-Funktion, der gerade erst auf den Markt gekommen ist. Zwar weiß sie zunächst nicht, was sie mit dem Gerät eigentlich anfangen soll, ist aber wild entschlossen, es für ihre Zwecke zu nutzen. Nach gewissen Anlaufschwierigkeiten wird fortan auf dem Fairlight komponiert und arrangiert und anschließend von ihren Musikern nachgespielt, was dem dritten Album Never For Ever eine deutlich experimentellere Note verleiht. Es werden Türen auf- und zugeschlagen, man hört jemanden bei voller Ausnutzung des Stereoeffekts von der einen Seite zu anderen schreiten, mal weht mitten im Song aus der Ferne eine fremde Musik heran, für die Single „Babooshka“ sollen im Studio angeblich erstaunliche Mengen Porzellan zerschlagen worden sein, um exakt den Klang von zerspringendem Porzellan einzufangen, den Kate Bush sich vorgestellt hat. Das erregt zwar den Unmut des Studiopersonals, ist aber bald wieder vergessen, als die Single zu einem ihrer größten Hits wird. Im Video sieht man Bush abwechselnd beim Pas de deux mit einem Standbass sowie erstaunlicherweise exakt in dem Amazonen-Kostüm tanzen, das Tina Turner fünf Jahre später in dem Film „Mad Max III“ tragen wird. Als Never For Ever 1980 erscheint, ist es nicht nur ihr erstes Nummer-eins-Album, sondern auch das erste Album einer Frau, das von null auf eins in die britischen Charts einsteigt. 

Davon ermutigt, nimmt sie für ihr nächstes Werk die komplette Produktion gleich selbst in die Hand. Um die Kosten dafür überschaubar zu halten, lässt sie sich ein Studio in ihr Eigenheim bauen, sodass sie nach Lust und Laune experimentieren kann. Sie nutzt die Möglichkeiten nach Kräften, den Fairlight CMI sowie alle verfügbaren artverwandten Maschinen beherrscht sie mittlerweile aus dem Effeff. Als The Dreaming 1982 erscheint, sind Kritik wie Hörer fassungslos. Es wird getrommelt, geklappert und ge­scheppert, gejault und gekreischt. Es kommt ein Vogelstimmenimitator zum Einsatz, der Eselsgeräusche macht. Ein Didgeridoo wird gespielt und die Musik der Kelten zitiert. Die Studiotechnik zieht alle Register. Kurzum: The Dreaming ist ein Meisterwerk und verfestigte den Eindruck, dass es sich bei Kate Bush nicht nur um eine sehr eigenwillige, sondern auch höchst rätselhafte Künstlerin handelt. Vielleicht hatte sie sich nichts dabei gedacht. Vielleicht denkt sie ohnehin kaum darüber nach, wie die Öffentlichkeit ihre Musik aufnimmt. Aber die Öffentlichkeit denkt, dass sie daran denkt, weshalb das Enigma Kate Bush auf einem simplen Missverständnis beruht. Es existiert kein Geheimnis, es gibt keine komplizierte künstlerische Strategie und keinen verwirrenden Plan. Es gibt nur Kate Bush, die ihre Platten herausbringt, an die sie vor allem den Anspruch stellt, sich nicht damit zu langweilen. Jedes ihrer Alben ist allein von dem Ehrgeiz beseelt, sich nicht zu wiederholen. Sie orientiert sich an keinem Image, das von ihr existiert, alles, was zählt, ist die Arbeit im Studio, am Song. In ihren Texten finden sich auch keine biografisch begründeten Selbstentäußerungen. Sie erzählt Geschichten, zu denen sie vor allem Bücher und noch mehr Filme inspirieren. Ständig wechselt sie dabei die Perspektive, ist mal ein Fötus, der sich über nuklearen Fallout sorgt („Breathing“), ein schwuler Theaterschauspieler, dem die Filmkarriere verwehrt bleibt („Wow“), eine arglose Frau, die verblüfft feststellen muss, ein Tänzchen mit Hitler gewagt zu haben („Heads We’re Dancing“).

„Ich wollte nie berühmt sein“, sagt sie, „mein einziges Ziel ist es, Alben zu veröffentlichen.“ Allerdings verliert sie bald auch am Veröffentlichen das Interesse, weshalb die Abstände zwischen den Alben immer größer werden. Nach ihrem Meisterwerk und größtem Erfolg Hounds Of Love von 1985 mit Welthits wie „Running Up That Hill“ und „Cloudbusting“ vergehen jeweils vier Jahre, bis The Sensual Work (gut) und The Red Shoes (verzichtbar) erscheinen, anschließend ziehen sogar zwölf Jahre bis Aerial ins Land. Wieso sie so lange brauchte? Ach, die Zeit vergehe ja so schnell und irgendwie sei immer etwas dazwischengekommen, weiß sie zu berichten. Man dürfe es sich jedenfalls nicht so vorstellen, dass sie jeden Tag ins Studio gegangen sei, um an den Liedern zu arbeiten. Manche klingen denn auch eher wie Skizzen, längst nicht mehr so überladen produziert wie in den Achtzigern, sie mag es lieber etwas überschaubarer.

Noch reduzierter klingt sechs Jahre später Director’s Cut, ein Album, für das sie elf Songs der Alben The Sensual World und The Red Shoes einer rundum wohltuenden Überarbeitung unterzogen hat. In geradezu atemberaubender Geschwindigkeit lässt sie jetzt ihr zehntes Album folgen. Es heißt 50 Words For Snow und befasst sich mit dem Thema Schnee. Auf dem Cover sieht man sie, wie sie ihre Nase an der eines Schneemannes reibt. Klingt schlimm. Aber das hat sie glücklicherweise noch nie aus dem Konzept gebracht.