Mister Volume


70 Jahre Brachial-Krach: Verstärker-Papst Jim Marshall ist der Mann, der dem Rock 'n' Roll die Röhren-Zähne zeigte.

Das Who Is Who des Rock V Roll wird sich in die Gratulanten-Schlange einreihen, wenn dieser Brite im Juli seinen 70. Geburtstag feiert — Jim Marshall. Marshall-Amps haben mit ihrem fetten und sägenden Zerr-Klang Rock „n“ Roll-Geschichte geschrieben — sie sind auf so gut wie jeder Gitarren-Produktion zu hören und haben mit ihrem Sound die Entstehung aller härteren Stilarten des Rock erst ermöglicht.

Lange bevor er seinen ersten Gitarrenverstärker zusammenlöten ließ, mußte Jim Marshall als 1 jjähriger Knabe in einer britischen Fabrik als Werkzeugmacher arbeiten. Doch sein musikalisches Talent blieb nicht lange unentdeckt: Bereits mit 14 hatte er 1937 seinen ersten Job als Sänger in einer Tanzkapelle und entdeckte seine Liebe zum Schlagzeugspielen. Tagsüber Arbeit in der Fabrik, und abends als Musiker auf der Bühne, diesem Tages-Plan blieb Jim Marshall jahrzehntelang treu. „Als ich 1937 in der Tanzkapelle anfing, sang ich fünf Nächte pro Woche“, erinnert er sich. „Komischerweise verdiente ich mehr Geld mit dem Singen als in den 48 Stunden pro Woche in der Fabrik. „

In Max Abrams fand er 1947 einen der renommiertesten Schlagzeuglehrer der damaligen Zeit. Später eröffnete Jim seine eigene Schlagzeugschule, unterrichtete bis zu 65 Schüler (darunter der spätere Hendrix-Drummer Mitch Mitchell) pro Woche und spielte mit Pete Townshends Vater in einer Big Band.

Bald wurde die Lehranstalt auch für Gitarristen. Bassisten und Sänger ein beliebter Szenetreff.“.Irgendwann brachte mich einer dieser Musiker auf die Idee, hier auch Equipment zu verkaufen“, erinnert sich der Verstärkerpapst. Die Ladeneröffnung 1960 war gleichzeitig Geburtsstunde der Verstärker-Produktion. Da fast alle Gitarristen mit dem Sound damaliger Geräte höchst unzufrieden waren, stellte Jim Marshall den Techniker Duddley Craven ein. der den Musikern Amps nach ihren Vorstellungen zusammenlötete. „Schon der sechste Prototyp war ein Treffer mit dem gewünschten harten und rotzigen Sound“, schmunzelt Jim Marshall, „bald rannten uns Gitarristen aus dem ganzen Land die Bude ein. “ Schließlich wurden im Laden nur noch Verstärker und Boxen zusammengeschraubt.

Wenig später kam Pete Townshend die Idee, oben auf zwei übereinandergestellte quadratische Boxen einen Verstärker zu setzen — der Marshall-Turm war geboren. Die meisten Gitarristen in England und Amerika kopierten sofort diese Idee — schließlich machte so ein Turm auf der Bühne auch optisch viel her. Bald standen hinter einschlägigen Rock-Gitarristen bis zu vier Türme, zwei davon zumeist als Holz-Dummies ohne technisches Innenleben. Unerwünschter Nebeneffekt: Da nun erstmals der Brachial-Lärm aus der oberen Box direkt auf Ohren-Höhe des Musikers dröhnte, trugen etliche Gitarristen bleibende Hörschäden davon — allen voran Townshend selbst. Dennoch: Eric Clapton, Ritchie Blackmore. Pete Townshend, Spencer Davis, die Small Faces und schließlich der Marshall-Botschafter schlechthin. Jimi Hendrix, sorgten bei Marshall für Vollbeschäftigung im Verstärkerbau.

Heute produzieren im Marshall-Werk im britischen Milton Keynes 220 Mitarbeiter auf mehr als 20.000 Quadratmetern Hallenfläche pro Woche 4000 Einheiten. Marshallverstärker erfreuen sich ungebrochener Beliebtheit, nicht zuletzt wegen ihres amtliches Brett-Sounds in der legendären „britischen Einstellung“ — alle Regler zum rechten Anschlag aufgerissen. Wichtigstes Kapital für diesen Erfole ist das Motto des Meisters:

„Wir haben immer erst zugehört und danach Musikerwünsche in Produkte umgesetzt, nicht umgekehrt, und so soll’s bleiben. „

Marshalls Arbeitstag ist für einen fast 70jährigen immer noch extrem lang: Auf 12 bis 14 Stunden täglich kommt er locker. Arbeitsbeginn ist jeden Morgen 6.45 Uhr. Von 1977 bis heute hat Jim Marshall gerade vier Wochen Urlaub gemacht, denn „30 arbeitsfreie Tage wären ein Alptraum für mich!“