Neil Young


Punkt 20 Uhr 40. Als der Blues vom Band endlich verstummt, ist die fiebrige Erwartung des breitgestreuten Hippies & Hipster-Publikums ob der Verspätung gerade dabei, in Unmut umzuschlagen. Plötzlich ist er da. Zerrissene Jeans, schwarzes Shirt, Lederjacke, mobil wie noch nie (Mini-Mikro am Mann. Akustikgitarre über Sender), eingefangen von einem Scheinwerfer, der seinen Schatten zweimal an die Rückwand wirft. Die ersten Akkorde. „Hey, Hey, My, My…“ Der alte Zauber funktioniert nach wie vor. „Is this the story of a Johnny Rotten … ?“ Als die Frage im Raum schwebt, verschmilzt er mit seinen beiden „Verfolgern“ – wie ein Gehetzter im Polizeischeinwerfer.

Nicht länger gewillt, den Babysitter für Alkoholiker- und Drogenabhängige“ (siehe Interview auf S. 23) zu spielen, hatte er nur zwei Kumpels mitgebracht: Frank Sampredo konnte seinen Trip als zweiter Gitarrist bei fünf Titeln noch halbwegs rechtfertigen, doch Oldtimer Ben Keith war wohl nicht zufällig in Urlaubsmontur angetreten: Seine Lap-Steel-Gitarre durfte nur „Too Far Gone“ veredeln.

Zwar streute Neil behutsam verdiente Oldies („The Needle And The Damage Done“. „Don’t Let It Bring You Down“) ins Repertoire, ließ aber nie Zweifel an seiner Opposition gegen eingefahrene Erwartungen aufkommen. Er will heute weder den seligen Romantiker mit „goldenem Herzen“ noch den krachenden Gitarren-Rock ’n‘ Roller spielen. „Oh, I can’t rock anymore.. . „Ironisch winselnd kauen er hinter dem Piano, nachdem ihn ein idiotischer „Rock n‘ Roll“-Zwischen ruf veranlaßt hatte, einen Becher Wasser in Richtung Publikum zu leeren. Es folgte eine Version von „After The Goldrush“, die das dämliche Wunderkerzen-Ritual wirklich nicht verdient hat.

Nach rund 70 Minuten endet der reguläre Set mit „Ohio“. Er widmet den Song über die vier Toten bei US-Studentenunruhen dem chinesischen Jungen, der nicht zuletzt deshalb vom Regime gerichtet wurde, weil sein Foto (mit Blume vor Panzer) um die Welt ging. „Well, good luck to your brothers, little boy …“ – ein kurzes, passendes Statement, kein prätentiöses Polit-Gestammel à la Bono. Nur die Zugaben („Rockin‘ In The Free World“ und ein müdes „Powderfinger“) hätte er sich schenken können. Es war bereits alles gesagt.