Kritik

„Neues aus der Welt” auf Netflix: Texas first, Drehbuch second!


Tom Hanks reitet im neuen Netflix-Film „Neues aus der Welt” als Cowboy-Claus-Kleber mit „Systemsprenger”-Star Helena Zengel durch den Wilden Westen und liest die Nachrichten vor. Warum das gleichzeitig besser und schlechter als das „Heute Journal“ ist, erfahrt Ihr hier.

Paul Greengrass ist zurück auf Netflix! Doch nachdem „22. Juli”, sein Film über das rechtsextremistische Attentat auf die Teilnehmer*innen des Sommerlagers der Jugendorganisation der norwegischen Sozialdemokraten auf der norwegischen Insel Utøya, ganz freiwillig bei der Streamingplattform Premiere feierte, kann man das von seinem neusten Streich „Neues aus der Welt” nicht gerade behaupten. Denn anders als ursprünglich geplant, kam er nur in den USA in die Kinos – und zwar bereits am ersten Weihnachtsfeiertag. Für den Rest der Welt (mit Ausnahme Chinas) nahm Universal den Film jedoch komplett aus dem Programm. Letztlich landeten die Rechte bei Netflix und „Neues aus der Welt” damit auch direkt in unseren Wohnzimmern.

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Die richtige Entscheidung? Bestimmt, denn für die große Leinwand fehlt es „Neues aus der Welt” eindeutig an visuell beeindruckenden Momenten. Und auch im Drehbuch gibt es kaum Stellen, die einen die Finger in die Armlehnen eines Kinosessels krallen lassen würden. Das wohl größte Problem des neuesten Greengrass-Streifens im Western-Setting ist jedoch die verquere Perspektive. Denn der Film erzählt nicht etwa über die Vergangenheit, um so die Gegenwart besser zu verstehen. Er erzählt vielmehr aus der Gegenwart und trägt dabei ein Cowboy-Kostüm.

Seine Waffe ist das Wort

Und das hat sich Tom Hanks übergeschmissen. Als Bürgerkriegsveteran Captain Kidd zieht er mit einer Tasche voller Zeitungen von Siedlung zu Siedlung, Stadt zu Stadt, um dort gegen ein paar Groschen die Nachrichten vorzulesen. Er ist quasi eine Art „Claus Kleber mit Cowboy-Hut“, mit Lederstiefeln und Revolver im Holster. Doch rauchende Colts ließ er mit dem Ende des Krieges hinter sich. „Neues aus der Welt” etabliert schnell, dass Captain Kidd auch ein Vorfahre von Fred Rogers – dem vermutlich nettesten und einfühlsamsten Mensch der Welt – aus Hanks‘ Film „Der wunderbare Mr. Rogers” sein könnte. Kidd ist barmherzig, begräbt einen von texanischen Rassisten an einem Baum erhängten Schwarzen, auf den er am Rand seiner Route zum nächsten Ort stößt und hat kein Interesse an bewaffneten Konflikten. Seine Waffe ist das Wort.

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Doch wirklich scharf ist diese Waffe natürlich nur, wenn sie auch verstanden wird. Bei Johanna (Helena Zengel aus „Systemsprenger”) kommt zunächst nur Bahnhof an. Kidd findet das Mädchen in den Trümmern einer Kutsche, die zuvor wohl der Erhängte geführt hat. Sie spricht kein Englisch, er nicht ihre indigene Sprache. Der gutmütige Captain nimmt sich ihrer an, will das Mädchen an einen sicheren Ort bringen. Doch auf dem Weg zum Ziel muss er natürlich hier und da mit Nachrichten sein Geld verdienen.

Flöten gegangenes Fingerspitzengefühl

Greengrass nutzt diese Momente, um uns etwas über den Journalismus und das besonders in den USA herrschende gesellschaftliche Klima der Jetztzeit zu erzählen. Es sind Momente, in denen dem für intelligente Spionagethriller der „Bourne”-Reihe bekannten Filmemacher das Fingerspitzengefühl flöten geht. Statt nuancierten Anspielungen und subtilem Kommentar werden dem Publikum grobschlächtige Worthülsen vorgesetzt, die sich im Amerika der Nachbürgerkriegszeit deutlich verfrüht anfühlen – nur leider nicht im positiven, sondern anachronistischen Sinne.

Denn wenn Captain Kidd einer Meute von Leuten, die man heute vielleicht abwertend als „Rednecks “ bezeichnen würde, etwas über Zusatzartikel der Verfassung vorliest, die das Verbot der Sklaverei und ein Diskriminierungsverbot aufgrund von Hautfarbe und Rasse durchsetzen sollen und einer aus dem aufgebrachten Publikum dann unter tosendem Beifall „Texas first!” brüllt, sehen wir keine Hillbillys, sondern einen gewissen Ex-Präsidenten mit zu viel aufgetragenem Selbstbräuner vor unserem inneren Auge.

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Oder wenn ein faschistisches und Rupert-Murdoch-eskes Siedlungsoberhaupt im feinsten Fox-News-Stil rassistisch gegen „die Mexikaner und Indianer” wettert, dann wirkt das in erster Linie gezwungen, um krampfhaft eine zeitgeistige Botschaft zu transportieren – so richtig und wichtig diese auch sein mag.

Kein Greengrass ohne Handkamera

Doch es gibt auch genügend Momente, in denen Paul Greengrass das sinnbildliche Brecheisen in der Werkzeugkiste lässt. Denn die Stärken des Regisseurs liegen – und das hat der Elendsporno „22. Juli” zuvor noch einmal deutlich gezeigt – mittlerweile nicht mehr in den ruhigen Momenten eines Dramas, sondern den dynamischen Momenten eines Actionthrillers. Und auch die liefert er in „Neues aus der Welt”. Wenn sich Kidd und Johanna mit ein paar Gangstern einen Schusswechsel entlang eines Hügels liefern, sie von Deckung zu Deckung rennen und die Kamera ihnen dabei in der Hand gehalten ganz nah am Boden folgt, dann reißt das mit. Und die beiden Charaktere schweißt das immer und immer enger zusammen. Stärker ist nur der Bund, der mit dem zunehmenden Verständnis der Sprache des jeweils anderen langsam entsteht.

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Diese Werte abseits von Schrot und Gewalt gipfeln in einer vermeintlichen Beiläufigkeit und nicht, wie vielleicht zu erwarten, im Pathos vor wehender amerikanische Flagge. Denn als Kidd und Johanna überfallen werden, meinen die Ganoven nichts von Wert auf der Ladefläche der Kutsche finden zu können. Nur die Tasche mit den Zeitungen, die reißen sie sich unter den Nagel.

Terrence Malick lässt grüßen

Dazu gesellen sich wirklich wunderschöne Landschaftsaufnahmen, die in den Prärien New Mexicos entstanden und in denen Greengrass augenscheinlich auf viel natürliches Licht setzte und seine Bilder damit tatsächlich in die Nähe von „In der Glut des Südens” – einem Film von Terrence Mallick, dessen Außenaufnahmen nahezu ausschließlich während der so genannten „Magic Hour“ in der Morgen- sowie Abenddämmerung gedreht wurden – rückt.

Bei genauerem Hinsehen lässt sich „Neues aus der Welt” an noch viel mehr Stellen viel härter kritisieren und in sicherlich genauso vielen Momenten loben. Übrig bleibt am Ende aber trotzdem nicht mehr als ein solider Crowd-Pleaser, der durch einen bisher kaum genutzten Zugang zum Genre und die schauspielerischen Leistungen von Tom Hanks und Helena Zengel davor bewahrt wird, in die Riege oft plump verfilmter und verzweifelt nach Bedeutung suchender Belanglosigkeit zu rutschen.

„Neues aus der Welt“ ist seit dem 10. Februar 2021 auf Netflix im Stream verfügbar.

© Universal Pictures International Germany GmbH
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