Kritik

Asche zu Asche: „Die Ausgrabung“ kämpft auf Netflix gegen die Bedeutungslosigkeit


Im überaus britischen Filmdrama „Die Ausgrabung“ suchen Ralph Fiennes als Archäologe und Carey Mulligan als interessierte reiche Witwe nach einem höheren Sinn. Gemeinsam stoßen sie auf einen der bedeutendsten archäologischen Funde überhaupt. Das klingt spannender, als es ist.

„Die Ausgrabung“ ist ein überaus britisches Filmdrama: Eine melancholische Schwere durchzieht die knapp zweistündige Spielzeit. Es gibt viele Beigetöne zu sehen, die dargestellten Menschen scheinen ausschließlich Gedankenvolles von sich zu geben. Man trägt Tweed, man trägt Cardigans. Jemand ist reich, jemand verliebt sich, irgendwo herrscht Krieg.

Irritierenderweise unterscheiden sich moderne Austen-Verfilmungen wie „Stolz und Vorurteil“ (2005), die Anfang des 19. Jahrhunderts spielen, dabei erstaunlich wenig von britischen Historienfilmen, die Anfang des 20. Jahrhunderts spielen. Wie „Abbitte“ (2007). Oder eben „Die Ausgrabung“ – obwohl das Setting ein ganz Spezielles ist.

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Der Netflix-Film von Simon Stone, der ursprünglich eine BBC-Produktion werden sollte, basiert auf dem gleichnamigen Roman von John Preston. Der britische Journalist hat darin die Geschehnisse um die Ausgrabung bei Sutton Hoo – die ein Schiffsgrab zu Tage förderte, das als einer der wichtigsten archäologischen Funde in der Geschichte gilt – niedergeschrieben.

Wo liegt der höhere Sinn begraben?

Mehr als um die Entdeckung selbst, geht es allerdings um deren überlebensgroße Bedeutung, die die daran beteiligten Personen ihr beimessen. „Die Ausgrabung“ erzählt von der urmenschlichen Hoffnung, dass etwas von uns bleibt. Dass wir in einem größeren Zusammenhang existieren. Und schließlich der Ergriffenheit, die uns beschleicht, wenn wir für einen kurzen Augenblick voller Überzeugung sind, dass es tatsächlich so sein könnte.

Im Zentrum des Geschehens stehen der örtliche Archäologe Basil Brown (Ralph Fiennes) und dessen neue Auftraggeberin Edith Pretty (Carey Mulligan). Die vermögende Witwe besitzt ostenglisches Land und sie beschleicht das Gefühl, dass darin ein geschichtsträchtiger Fund verborgen liegen könnte. Wie sich nur wenig später herausstellen wird, hat sie absolut recht. Doch die Zeit drängt: Es ist das Jahr 1939 und der Krieg naht.

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Zwischen Brown – der sich sein Wissen selbst angeeignet hat und von dem Idealismus angetrieben ist, seine Zeit einer Aufgabe von menschheitsgeschichtlicher Bedeutung zu widmen – und der nach einem fortdauernden Sinn suchenden Pretty gibt es von Anfang an eine gewisse Verbundenheit. Für Prettys wissbegierigen jungen Sohn Robert (Archie Barnes) wird Brown schnell zur Vaterfigur, beide verbindet das Interesse an den Sternen. Die Astronomie zieht sich als weiteres Betätigungsfeld, in dem sich ebenfalls hervorragend nach dem „großen Ganzen“ suchen lässt, durch den Film.

Bedeutung – behauptet, aber ungreifbar

Auf einer bodenständigeren, weltlicheren Ebene geht es um Browns Ringen um Anerkennung. Denn als die ersten Funde ihre Wellen schlagen, versuchen ihm andere, mit akademischen Würden Dekorierte, wie Archäologe Charles Phillips (Ken Stott) vom British Museum, den Ruhm frühzeitig abspenstig zu machen.

Damit ist die erste Hälfte von teils gezwungen tiefgründigen Dialogen um Vermächtnis und einer nicht weniger bemüht bedeutungsschwangeren Atmosphäre geprägt. „Die Ausgrabung“ ist ein zäher, schmachtender Film. Drehbuchautorin Moira Buffini, die auch das Skript für „Jane Eyre“ lieferte, konstatiert die alles durchziehende Bedeutung nur. Greifbar wird sie nicht.

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Störender noch ist ein zentraler Bruch in der zweiten Hälfte: Die sich anbahnende Romanze zwischen Brown und Pretty wird fallengelassen und abrupt durch andere ersetzt: Mit Phillips reist eine kleine Entourage an Wissenschaftler*innen an. Darunter der zurückhaltende Stuart Piggott (Ben Chaplin) und seine jüngere Ehefrau Margaret (Lily James), die beide ein Auge auf Andere werfen. Die Geschichten, die sich daraus entwickeln, wirken deplatziert.

Werktreue hier, künstlerische Freiheit da

Überhaupt bleibt unklar, weshalb sie so spät noch eingeflochten wurden, wenn man nicht mit Prestons Buchvorlage vertraut ist. Der nämlich ist Margarets Neffe, weshalb sich sein Roman hauptsächlich um sie, als diejenige, die das erste Schmuckstück in der Grabstätte fand, dreht.

Warum man hier strikt die Romanperspektive beibehält, wo man sich an anderen Stellen doch auch künstlerische Freiheiten herausnimmt, ist damit allerdings nicht geklärt. Mit Ralph Fiennes wurde schließlich ein Schauspieler besetzt, der fast zehn Jahre älter ist als seine Rolle zum Zeitpunkt der Handlung. Dass Edith Pretty gleichsam mit Carey Mulligan mit einer Schauspielerin besetzt wurde, die wiederum zwanzig Jahre jünger ist als ihre Rolle, muss man wohl auf die Altersdiskriminierung von Frauen im Film zurückführen.

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Am Ende überzeugt das Ansinnen, Basil Brown, dessen Wirken bei Sutton Hoo lange verschwiegen wurde, ein spätes Denkmal zu setzen, mehr als der Film selbst.

Das Drama „Die Ausgrabung“ mit Ralph Fiennes und Carey Mulligan startet am 29. Januar 2021 auf Netflix.

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