Nicht besser nur anders


ME sprach mit Wishbone Ash's Martin Turner.

Eine „Goldene Sommernacht“ in Essens Grugahalle, so lautete das Versprechen – es wurde wie üblich: Dave Mason und Renaissance hatten kurzfristig abgesagt. Die Ersatzgruppen Climax Blues Band, jenseits von Gut und Böse,.und Soft Machine, etwas deplaziert, taten ihr Bestes. Die Baker Gurvitz Army wartete dann mit einem sehr gesund aussehenden, schlagkräftigen Ginger Baker sowie einem indiskutablen Sänger auf, dazu noch einigem Leerlauf. So kam es zwangsläufig, daß Wishbone Ash, sowieso schon als Top Act gedacht, alles in Grund und Boden spielten. Mit glasklarem Sound und schnörkellosen Songs zeigten Martin Turner, Andy Powell, Steve LJpton und Laurie Wisefield, was man heutzutage noch alles aus zwei Leadgitarren herausholen kann – Synthesizer-Feteschisten wie Keith Emerson oder Rick Wakeman wären schamrot geworden.

Vor der nur teilweise goldenen Sommernacht sprach ME im Gelsenkirchener Hotel „Maritim“ mit Martin Turner, Leadsänger und Bassist von Wishbone Ash, über die Band, die Rockszene und einiges mehr.

Musik Express: Sieht sich Wishbone Ash mehr als Live- oder als Studio-Band? Was macht ihr lieber?

Turner: Oh, es ist sehr wichtig, daß beides Hand in Hand geht. Ich denke aber, daß wir in der Vergangenheit mehr Live-Band waren, in Zukunft jedoch mehr Wert auf die Studioarbeit legen.

ME: Habt ihr keine Angst, euch auf einer Tournee wie der jetzigen lediglich selbst zu reproduzieren?

T: Nein, nein!

ME: Dann tauchen also auf einer Tournee auch neue Ideen auf?

T: Ja, durchaus. Wir spielen natürlich unsere Songs von früheren Alben, aber auf dieser Tour, die übrigens durch elf Länder ging, haben wir auch einige Songs von unserem geplanten neuen Album dabei.

ME: Wann wird die neue LP erscheinen?

T: Es wird am … Moment, am 1. Januar 76 erscheinen.

ME: Und der Titel?

T: Ich weiß es noch nicht. Hast du eine Idee?

ME: Tja, vielleicht einfach „Wishbone Ash’s New Album“.

T: Mmmh, mal sehen. Jedenfalls muß noch einiges dafür getan werden.

ME: Wird die neue LP ähnlich wie die früheren, oder fangt ihr nun auch mit fünf Synthesizern an?

T: Nein, wir machen’s nicht wie Lou Reed auf seiner neuen Platte. Es wird so ähnlich werden wie unsere letzte LP „There’s The Rub“, auf der wir allerdings wegen unseres neuen Gitarristen Laurie einige Schwierigkeiten hatten damals kannten wir uns noch zu wenig. Jetzt aber wird es besser klappen, weil Laurie nun voll integriert ist.

ME: Warum habt ihr in sechs Jahren keine einzige Single produziert?

T: Oh, wir haben eine gemacht, und zwar „No Easy Road“, die war auch auf „Wishbone Four“ dfauf. Aber es war kein großer Hit, haha. Nur in den USA stand sie hier und da ziemlich oben, zum Beispiel in New Orleans.

ME: Apropos New Orleans. Ted Turner, dein Bruder und Laurie’s Vorgänger, ist nach eurer Trennune dorthin gezogen? Warum?

T: Na, der hat eine Lady dort sitzen. Das war’s!

ME: Und gab es auch musikalische Gründe?

T: Ich meine, Ted wollte gar kein Popstar sein. Abgesehen von der Musik hat man nämlich eine Menge zu tun . ..

ME:. . . Interviews geben . ..

T: . . . ja, Interviews, Fototermine. Autogramme und sowas. Ted hatte an so etwas kein Interesse. Er war auch dafür zu labil, das ist die Sache, wenn die Leute in deine Wohnung kommen, und du bist nicht klug genug, auch mal einige abzuweisen. Am Ende ist die Wohnung voll, und du selbst mußt ausziehen. Ted wurde zunehmend depressiv, und deshalb ist er gegangen. Wir waren alle geschockt, aber was soll’s, morgen bin ich vielleicht dran oder jemand anderes.

ME: War der Weggang von Ted Turner ein Wendepunkt?

T: Ja, in einem solchen Fall ist man gezwungen, die ganze Sache mal zu durchdenken. Ted war ein ruhiger, zurückgezogener Kerl, Laurie ist das genaue Gegenteil: voller Energie und auch als Gitarrist völlig anders. Das änderte vieles bei Wishbone Ash.

ME: Martin, du weißt es am besten:Ihr wurdet 1972 zur „Brightest Hope of the Year“ gewählt, euer Album „Argus“ zur „Platte des Jahres“ ernannt. Wäre ich Rockmusiker, und mir wäre das passiert, dann hätte, ich mir vorgestellt, zwei oder drei Jahre später der absolute Superstar zu sein. Tatsächlich seid ihr das aber heute nicht, ihr seid eine der großen Bands, aber nicht die größte! T: Das ist eine schwierige Sache. Sieh mal, unsere ersten drei Alben wurden alle unter gleichen Bedingungen produziert, alle gleich gut, zufällig hieß eines davon „Argus“ . .. klar? Und das bedeutete einen ungeheuren Druck für die Band. Deshalb wollten wir unsere Richtung ein wenig verändern, unsere Amerika-Tourneen haben da einiges verursacht. „Wishbone Four“ stellte dann eine radikale Veränderung dar, und es war eben sehr schwierig für uns, die neue Richtung so gut hinzukriegen wie die alte. Wir wollten aber auch gar nichts besser machen, nur ganz anders.

ME: Dann ist also ein Titel wie „Newcomer Of The Year“ eher eine Belastung?

T: Ja, allerdings. Stell dir vor, die Leute hatten „Argus“ zur „Platte des Jahres“ gewählt, und dann erschien kurz darauf eine Single wie „No Easy Road“ – total anders. Dann sagen die Leute nämlich: „Wishbone Ash? Nein, das kann nicht Wishbone Ash sein, das ist ja ganz anders.“ Es ist einfach schwierig für die Leute, solche Änderungen zu akzeptieren.

ME: Eure Plattenfirma hat euch anfangs kaum unterstützt, keine Publicity, keine Werbung. Hatte man kein Vertrauen zu euch?

T: Ich glaube nicht, daß die Plattenfirma uns wirklich versteht. Die wissen nicht, was unsere Musik darstellt.

ME: Nun ist MCA doch eine ziemlich kleine Firma! T: Ziemlich klein? Nein, MCA ist eine sehr gute Firma, sie besitzt ein Filmgeschäft, und … es steckt eine Menge Geld in MCA – allerdings ist MCA zu sehr wie eine Bank, nicht wie eine Plattenfirma. In Amerika ist MCA sehr bedeutend, aber du hast recht: In Europa sind sie relativ klein. Wir haben bei MCA in Los Angeles den Vertrag geschlossen, und durch die verschiedenen Verkaufsrechte in anderen Ländern blicke ich nicht durch, wir haben damals erstmal das Geld gebraucht. Doch als Gruppe versteht MCA uns nicht, wir sind für die ein gutes Werbemittel, Progressiv-Rock-Band und so, das macht sich gut bei Freaks und Hippies – die mögen dann MCA, weil Wishbone Ash darauf spielt. Trotzdem hat’s zwei Jahre gedauert, bis unser erstes Album in Amerika erschien.

ME: Ihr feiert in den Staaten die größten Erfolge?

T: Hhmm. schwierig. Wir sind in keinem Land absolut an der Spitze, aber wir sind eine der wenigen Bands, die überall einigermaßen erfolgreich ist. Deshalb touren wir ja auch so viel.

ME: Was ist der Hauptgrund für eure Mammut-Tourneen? Die schnelle Mark verdienen oder populärer werden? Verdient ihr viel dabei?

T: Bis jetzt noch nicht, vielleicht auf dieser Tour. Gemeinhin verdienen wir wenig, weil Tourneen eben sehr teuer sind. Wir kümmern uns auch wenig darum, höchstens Drummer Steve Upton schaut auf unser Geld. Vor einem Jahr haben wir extra einen Mann dafür angestellt, unsere Finanzen zu sanieren, wir waren damals fast bankrott.

ME: Noch was anderes: Ist die Rockszene langweilig geworden? In den 60er Jahren konnte man aus dem Vollen schöpfen, heute muß man Neuigkeiten geradezu suchen!

T: Alles ist anders als in den Sechzigern. Vielleicht ist es heute besser, vielleicht schlechter, jedenfalls anders, ich finde die Rockszene keinesfalls langweilig. Sieh mal, vor zehn Jahren warst du viel leichter zu begeistern, denn du warst naiver, genauso war’s bei mir. Heute gibt es andere Jugendliche, die ebenso zu begeistern sind, und für die ist die Rockszene sehr, sehr lebendig. Und das ist für die auch sehr wichtig. Denn Rockmusik kann wesentlich zur Persönlichkeitsbildungbeitragen . . .

ME: … ein sozialer Faktor . . ,

T: … ja, ähnlich wie der Lehrer in der Schule oder die Eltern und so weiter. Rockmusik kann dich mit Dingen bekannt machen, die neu sind und dir dann Spaß machen . . .