Ohen Waters – Alles Roger


Den vergleich mit Streithammel Roger Waters hat David Gilmour längst für sich entschieden. Er allein ist der Bon, führt Pink Floyd mit Superlativen in einen zweiten Frühling. Dabei setzt er durchaus auf Bewährtes, wie die legendäre Plastik-Sau oder Sphären-Klänge zur teuersten Lightshow der Welt. Teddy Hoersch überzeugte sich für ME/Sounds: Die Rechnung von Gilmour geht auf.

AND LOUNGE“ sagt das Schild. Ohne den richtigen Paß heißt das Stop! Denn hinter dieser Tür halten sich Pink Floyd zwischen Soundcheck und Showtime auf. Trommler Nick Mason liegt langausgestreckt auf einem Sofa und schläft. Tastendrücker Richard Wright ist nirgendwo zu sehen. David Gilmour füllt Sprudelwasser in die hölzernen Griffe eines Tischfußballspiels. „Das Holz quillt auf, und die Griffe sitzen wieder fest auf den Eisenstangen“, antwortet er auf das Fragezeichen in meinem Gesicht. Grinst und prüft das Ergebnis seiner Arbeit.

Ein Crew-Mitglied fragt laut, ob jemand einen Dieter Sowieso kenne. Gilmour bejaht. Dieter ist eine Urlaubsbekanntschaft, Fluglehrer bei der Lufthansa. Und für Gilmour ist nur Fliegen schöner als Pink Flovd.

„Nick und ich haben uns gerade eine wunderschöne, zweimotorige Propellermaschine gekauft.“

Selbst nach neun Monaten Tournee — insgesamt 155 Shows zwischen August ’87 und ’88 — scheint David dem alten Zigeunerleben neue Freuden abzugewinnen. „Ohne Roger macht es richtig Spaß. Es gibt kein Gezänk, keine langen Gesichter, keinen Streit. Wenn einer dabei ist, der ständig Unmut verbreitet, fällt selbst eingefleischten Optimisten irgendwann die Kinnlade runter.“

Das Thema Roger Waters beherrscht nach wie vor die Diskussion. Gilmour gibt sich cool. „Eins werde ich ganz sicher nicht tun: Meine ganze Energie auf den Kampf gegen Waters verwenden. Das ist im übrigen auch gar nicht nötig: Bislang gibt’s kein Verfahren, keine Klage, keine Verfügung. Und selbst wenn: Es würde nichts ändern. Keiner kann mir sagen, ich sei nicht Pink Flovd.“

Der pluralis majestatis war wohl keine Freud’sche Fehlleistung— Gilmour ist Pink Floyd. Von Ausnahmen abgesehen stammt das Material des Millionenseilers A MOMENTA-RY LAPSE OF REASON von ihm. Bei Pressekonferenzen, so dem europäischen Medientag in Versailles, ist Gilmour der Wortführer. Mason begnügt sich mit Einwürfen. Wright wirkt nervös. Warum, so fragt man sich, wurde Gilmours kreatives Schwergewicht nicht schon zu Waters-Zeiten hör- und sichtbar? Und immer wieder muß sich David die Frage gefallen lassen, wie denn der Rumpf ohne den Kopf weiterzumachen gedenke?

„Das Bild von Pink Floyd in der Öffentlichkeit ist falsch. Alle denken, Roger hätte seit Jahren alleine das Kommando geführt. Und er selbst hat die Vorstellung, daß er das maßgebliche Flovd-Mitglied sei. bei jeder Gelcgenheit gefördert. Intern führte er einen Machtkampf den er teils aufgrund meiner Faulheit, teils aufgrund mieser psychologischer Tricks gewonnen hatte. Aus der bekannten Methode, größer zu erscheinen, indem man die anderen kleiner macht, hat Roger eine hohe Kunst gemacht. Immer wenn ich mit Texten ankam, verzog er das Gesicht. Immer wenn ich musikalische Vorschläge unterbreitete, spielte er sie runler. Dennoch: Dafür daß er alles an sich riß, gibt’s im Grunde nur eine Erklärung: Wir waren zu träge, uns gegen seinen Ehrgeiz zu wehren.“

Wollte man den Kampf nach Punkten bewerten, ist Gilmour der eindeutige Sieger. Die laufende Tournee, an Ausmaß und Aufwand größer als THE WALL, scheint nach dem Motto angelegt: „Alles Roger, wir sind Pink Floyd!“ Richtig ist, daß Waters mit seiner Bleeding Heart Band einige wenige und — wie man hört — selbstfinanzierte Konzerte gab. Ein Erfolg war das ebensowenig wie sein RADIO KAOS-Werk.

Gilmour & Co. agieren da schon weitaus cleverer. Anläßlich ihres Konzertes vor dem Versailler Schloß gaben sich, neben den 80000 Zuschauer auch die Direktoren ihrer Plattenfirma ein Stelldichein. Im Gepäck hat jeder sein Edelmetall-Präsent. Und wer sich von Zahlen beeindrucken lassen will: 1,3 Millionen Dollar verschlingt die Produktion pro Woche. 45 Riesentrucks transportieren drei Bühnen: Eine steht, eine fährt, eine wird aufgebaut. Im Presse-Info heißt es lakonisch: „The show is the largest produetion ever undertaken on the road.“ 130 Leute sind allein mit der 11 köpfigen Band unterwegs. Vier Lichtroboter, zwei Telescans, acht Varilite-Systeme. 280 rotierende Lampen in der Bühnenfront. Dia- und Filmprojektionen auf eine acht Meter große Rundleinwand, ein aufblasbares Schwein mit blinkenden Wutzeaugen, ein in die Tiefe sausendes Bett — bei Floyd ist alles größer als groß, alles atmet Gigantonomie.

„Stimmt nicht“, kontert David, „es ging uns nicht darum, die größte, sondern die beste Show zu präsentieren. Und was wir zeigen, ist die beste Show, die man derzeit auf der Well sehen kann. „

Zaghaft wagt eine Kollegin den Einwand mit Michael Jackson. „Ich habe seine Show gesehen“, lächelt Gilmour, „sie ist nicht schlecht. Aber er ist noch recht jung. Man sollte ihm noch ein paar Jahre Zeit lassen. „

Von Entfremdung in den Riesenarenen will er nichts wissen. „Pink Floyd können nicht in kleinen Hallen auftreten. Wir inszenieren ein Ereignis, und das braucht einen gewissen Rahmen. „

Auch von dem Mythos der 60er Jahre, als Musik (angeblich) noch kein Geschäft war. will Gilmour nichts wissen. Er imitiert einen bekifften Hippie: „Jaja, damals war alles viiiiel besser. Das ist Blödsinn. Underground und Kult gelten immer nur solange, wie man seine Instrumente noch nicht beherrscht. Das war bei uns genauso wie später bei der Punk-Bewegung. In dieser Hinsicht wird viel verklärt und beschönigt.“

Für ihn habe sich wenig verändert. Er will das, was er schon als Junge wollte: „Erfolgreich sein, mich musi¿

kaiisch ausdrücken, Geld verdienen, hübsche Mädchen treffen… Wie soll ich wissen, ob mich das alles verändert hat oder nicht. Wenn ich in den Spiegel schaue, sehe ich nur mich. Und ich kann nicht beurteilen, ob mich Geld und Erfolg verändert haben. Wird wohl so sein! Es wäre wohl ein bißchen blöd, das Gegenteil zu behaupten. Aber was einen wirklich verändert, ist wohl das Alter. Doch wenn man gleichzeitig älter, reicher und erfolgreicher wird, dann ist auch das okay. Ich jedenfalls habe unglaublichen Dussel.“

Gilmour macht auch nach Pressekonferenz, Fotocall. TV. und ME/ Sounds-Interview einen wachen Eindruck. Alles läuft exakt nach Plan. seinem Plan.

Der Mann aus Cambridge strahlt Souveränität aus. Er spricht fließend Französisch, passabel Deutsch und kann auch in belletristischen Belangen mithalten: von Carlos Castaneda über englische Klassiker bis Kurt Vonnegut. Wie Kollege Mason fährt er gerne schnell: BMW Ml Procar. Ferrari…

Von Freund Phil Manzarera. dem ehemaligen Roxy Music-Gitarristen, erwartet er seit Jahren einen Scheck:

„Ich wollte 10 Prozent aller Einnahmen, weil ich ihn seinerzeit ins Geschäft gebracht habe. Ich warte vergeblich.“ Grinsen. Wie gut ist er als Gitarrist?

„In gewisser Hinsicht miserabel, in David Gilmour: Ein souveräner Nachlab-Verwalter anderer vorzüglich. Keiner auf der Welt ist so gut als David Gilmour wie ich. Aber als Eric Clapton hätte ich keine Chance. Eine ordentliche Tonleiter kann ich nicht spielen, ich bin langsam — und Technik und Koordination lassen auch zu wünschen übrig. Ich habe gute und schlechte Seiten. Aber selbst meine schlechten Seiten tragen dazu bei, daß ich so klinge, wie ich klinge.“

Die Bitte, mit einem kleinen Plastikschweinderl in der Hand für den ME/Sounds-Fotografen zu posieren, lehnt Gilmour mit höflicher Bestimmtheit ab. „Ich habe längst aufgehört, Sachen zu tun, die ich später bedauern könnte.. ..'“