Pad statt Panflöte


Musik-Apps schön und gut. Aber was taugen die Piano- und Synthesizer-Programme für Telefon und Tablet-Computer wirklich? Kann man damit Geld in den Fußgängerzonen verdienen? Wir haben einen unmusikalischen Autor als Straßenmusikanten losgeschickt.

Ich habe einen Freund. Einen Musikerfreund, der in einer Band spielt, jedes Musikinstrument versteht, der sofort mit allem musizieren kann. Ich beneide ihn um sein Talent, denn er muss nicht reden, wenn er Frauen rumkriegen will. Er muss einfach nur im perfekten Rhythmus auf den Tisch klopfen oder seine Gitarre rausholen. Funktioniert immer.

Dieser Freund spielt manchmal im Sommer vor Berliner Cafés, verdient damit eine beachtliche Summe Geld und finanziert sich so Reisen und Zigaretten. Das beeindruckt mich, und ich will es auch. Applaus, Geld und Aufmerksamkeit fremder Menschen.

Aber es gibt ein Problem: Ich bin unmusikalisch. Ich kann weder Titelmelodien von Fernsehserien nachpfeifen, noch kann ich rhythmisch trommeln. Versuche ich den „Simpsons“-Song zu singen, klingt es nach „Star Trek“, pfeife ich Radiohead, klingt es nach, nun ja, nach mir, der Radiohead nachpfeift. Aber eben nicht nach britischer Gegenwartsmusik. Mein Freund lacht darüber, jedes Mal. Dann klopft er mir auf die Schulter und sagt: „Ich mach das mal.“ Und dann fängt er an zu singen. Als würde Thom Yorke vor mir stehen.

Aber ich will das nicht mehr, ich muss das ändern, ich will musizieren können. Meine Instrumente heißen aber nicht Cello, Gitarre und Schlagzeug. Sondern Korg iMS-20, Pianist Pro und Magic Fiddle. Alles Musikapplikationen für das iPad. Verschiedene Schwierigkeitsgrade, verschiedene Töne, die herauskommen. Ich will damit auf der Straße musizieren, will wissen, ob Menschen mir applaudieren. Welchen Wert hat diese Musik auf den Straßen der Stadt?

Der Korg iMS-20 ist ein digitaler Nachbau des berühmten japanischen Synthesizers MS-20, inklusive Chaos-Pad und gelber Kabel. Pianist Pro ist, genau, ein digitales Klavier, und die Magic Fiddle möchte eine Geige sein. Drei Instrumente in einem Gerät. Schwer zu bedienende Instrumente. Allerdings nicht mit einem Tablet-Computer.

Die Probe.

Wir treffen uns in einem dunklen, muffigen Proberaum. Instrumente an den Wänden, teure Gitarren und Teppich, überall Teppich, der für den Muff sorgt. PET-Flaschen, in die während der Probe gepinkelt wird. Es ist kalt. Und ich stehe hier, mit meinem iPad unter dem Arm. Der Freund nimmt sich eine Gitarre, schließt sie an den Verstärker an, gibt mir einen kleinen Klinkenstecker. Ich öffne die Korg-Software und drücke auf Play. Ein Preset, das ich verändern will. Aber ich habe keine Ahnung, wie dieses Gerät funktioniert, es sieht aus wie ein Elektrobaukasten aus dem Physikunterricht. Buchsen, Kabel, Regler, und aus den Boxen kommt Musik. Na ja, es ist eher ein Rhythmus.

140 BPM. Rums, Rums, Rums, Krach. Ich ziehe mit dem Daumen gelbe Kabel, drehe an kleinen Reglern, und es entsteht ein Beat, als würden Kraftwerk meine Lehrer sein. Es klingt toll. Ich drehe mich zum Freund, er nickt anerkennend und beginnt, seine Gitarre auf die Musik einzustimmen. Wir musizieren. Das war einfach, denke ich.

„Und, was sagst du?“, frage ich.

„Gar nicht mal schlecht, und nun lass uns mit dem Musizieren beginnen“, sagt der Freund. Und ich bin verunsichert. Musizieren, was meint er?

„Melodie!“, ruft er zwischen dem sehr repetitiven Krach, Krach, Krach, Rums, Rums.

Ich ziehe wieder Kabel, lege meinen Daumen auf das Chaos-Pad. Aus dem Beat wird Lärm, der Verstärker pfeift. Die Gitarre verschwindet hinter einem Vorhang aus künstlichen Geräuschen. Wie komme ich wieder zurück zum Ursprung? Wo ist die Melodie? Ich suche sie zwischen den Reglern der Software, versuche sie mit nervösem Rumgereibe dem Chaos-Pad zu entlocken. Es funktioniert nicht.

„Moment!“, rufe ich, wechsle zum Klavier. Ich beherrsche genau zwei Akkorde. F-Moll, C-Dur, den Rest verlängere ich: kleine Terz, große Terz. Habe ich gelernt. So kommt man vom Dur aufs Moll, habe ich mir gemerkt. Aber es wird schlimmer. Tragende Akkorde ohne Sinn für ein Gefühl plärren aus den Boxen, die Qualität der Piano-Pro-Software erinnert an das kleine Casio-Keyboard, das einem die Eltern schenkten in der Hoffnung, Interesse an Musik zu wecken. Ich drehe mich wieder zum Freund. Er schüttelt den Kopf, zupft desinteressiert seine Saiten.

„Mach mal die Geige“, sagt er. Ich mache die Geige, das iPad muss zwischen Kinn und Schulter geklemmt werden, wie bei einer echten Geige. Und dann streichelt man, als wäre der Finger ein Bogen, die Magic Fiddle. Doch es klingt nicht nach Geige, sondern es klingt nach Kindergarten im Sommer auf dem Hof. Das klirrende, ungehaltene Gelächter kleiner Menschen. Ich hoffe, Musik zu finden, rubble weiter mit meinem Finger, lege die andere Hand auf die vier Saiten. Ein Heulen, zum Heulen, denke ich.

„Noch mal zurück zum Korg“, sagt der Freund. Ich nicke. Mache Beats, lerne, wie leicht das eigentlich ist. Vielleicht sollte ich hiernach Hip-Hop produzieren. Er spielt Gitarre, und wir studieren einen Song ein. Einen Song für die Öffentlichkeit.

Die Öffentlichkeit.

Alexanderplatz, Berlin. Es ist eisig kalt. Zwei Verstärker, einer für seine Gitarre, einer für mich. Für mein iPad. Ich mache den Beat, den ich geübt habe, gestern Abend noch. Es ist aufregend, wirklich. Obwohl meine Fingerkuppen blau sind, mein Gesicht vor Kälte zieht. Ich stehe in der Öffentlichkeit, die mich beobachtet, eine Familie bleibt stehen. Sieht mich an. Fragt, was ich da mache. Ich wippe im Beat, aus dem Augenwinkel kann ich beobachten, wie die Familie die Schultern zuckt. Sie wissen nicht, was ich mache. Eine Münze fliegt in eine Schachtel, die ich vor meinen Freund und mich gestellt habe. Unser erster Euro. Und dann, auf dem Höhepunkt des Viervierteltakts, wo auch immer das ist, setzt der Freund mit der Gitarre ein.

Noch mehr Leute bleiben stehen. Beobachten uns. Ich weiß, warum: So wenige Menschen, so wenig Equipment, aber es kommt relativ viel Musik aus den Boxen. Das Wunder der digitalen Technik. Doch wünschte ich, eine Heizung würde unsere Finger wärmen, nach nur 20 Minuten schmerzen meine Finger, und ich befürchte, die flüssigen Kristalle des Displays frieren ein. Mein Freund, der Gitarrenspieler, hat Handschuhe mit abgeschnittenen Fingern, und er spielt stoisch. Seine Finger sind auch blau, aber lässt sich nichts anmerken.

Bestimmt 15 Leute sind stehengeblieben, hören uns zu. Wir spielen zum dritten Mal unseren Song, den einen, den wir einstudiert haben. Ich bin beeindruckt. Ein Tablet-Computer als perfektes Straßenmusikanteninstrument. Für Straßenmusikanten, die keinen Schimmer von Musik haben. Wir haben in 60 Minuten bestimmt sieben Euro verdient. Ich finde, das ist viel, ohne Steuern und so.

Wir spielen den Song ein letztes Mal, es sind mittlerweile 20 Leute, die uns zuhören, mit dem Fuß wippen und gute Laune haben. Ich habe keine Ahnung, wie das klingt, schäme mich aber, weil mein Freund spielt und ich nur ein paar Regler drehe. Er bewegt sich die gesamte Zeit über, seine Augen geschlossen. Meine geöffnet, statisch. Er musiziert, ich nicht. Ich begleite ihn. Es bleibt keine Zeit, darüber nachzudenken, ob die Menschen ihm und seiner Gitarre oder mir und meinem iPad zuhören. Denn die Polizei kommt. Der Freund hört auf, geht zu den Polizisten, redet souverän. Ich habe Schiss, denn was wir machen, ist verboten. Er kennt das schon. Wir packen zusammen, er nimmt das Geld aus der Schachtel. Ich friere, es fühlt sich an, als wäre ich stundenlang über einen Berliner Weihnachtsmarkt gelaufen – nüchtern. Wir verlassen den Alexanderplatz, kaufen Kaffee.

„Und, machen wir das im Sommer noch mal?“, fragt er mich. Ich bin stolz, dass er mich überhaupt fragt. „Klar“, sage ich und packe mein Instrument in die Schutzhülle. „Dann aber ohne Gitarre. Voll digital“, sagt er, nimmt sich mein iPad, öffnet den Korg und musiziert. Und zwar innerhalb von Sekunden.