Parallele Welten parallele Leben


Obwohl es Jahre gedauert hat, bis E seinen (toten) Vater besser verstehen und lieben lernen konnte, machte er sich dessen Theorie von Anfang an zu eigen. Ein Streifzug durch die sehr beachtliche Karriere von E und den Eels, bis hierhin...

Mark Oliver Everett ist ein Eigenbrötler, wie er im Buche steht. Sein bester Freund ist ein Hund. Kaum ein Künstler verbirgt sich so konsequent hinter seiner Musik wie der am 10. April 1963 in Örtchen McClean im US-Südstaat Virginia geborene Songwriter, Sänger und Gitarrist.

Man wusste lange nicht viel, und was man wusste, war nicht lustig. 2001, im Video zu „Souljacker Part 1“, verschreckte er seine Gemeinde regelrecht mit dem Aussehen eines halbirren Waldschrats. Da hatte er sein Gesicht, diese Benutzeroberfläche des Menschen, völlig hinter einem buschigen Vollbart verborgen, seine Augen hinter einer riesigen Pilotenbrille und seinen Schopf unter einer tief in die Stirn gezogenen Kapuze. Wie er da so im Lichthof eines Gefängnisses stand und rockte, hätte er ebenso gut Ted Kaczynski sein können, der im kollektiven Gedächtnis der Amerikaner abgespeicherte „Unabomber“, ein mysteriöser Bombenleger, der es auf Universitäten und Fluggesellschaften abgesehen hatte. Beliebt macht man sich auf diese Weise nicht. Interessant schon: „Zu dieser Zeit“, entschuldigt er sich, „hatte ich offenbar einen üblen Testosteronschub.“

Nicht einmal seinen Namen will Everett auf den Tonträgern veröffentlicht sehen, die er seit 1987 unter das immer weiter anwachsende Fanvolk bringt. Stattdessen nannte er sich mal „M.E.“, mal „Man Called E“, mal „Mr. E“ oder einfach nur: „E“. So meldet er sich auch am Telefon, wenn er aus seiner Hütte über den Hügeln von Los Feliz aus in Deutschland anruft: „Hallo, hier ist E.“ In Kalifornien ist es früh am Morgen, vor dem Fenster hört man die Vögel zwitschern, und wenn es stimmt, was er erzählt, dann hat er sich wieder seit einer Woche nicht rasiert. Der Mann ist 44 Jahre alt, kinderlos, unglücklich verliebt und seit einer Weile von seiner Frau geschieden, angeblich eine russische Zahnärztin. Heute geht es um seine beiden neuen Platten: useless trinkets mit B-Seiten, Unveröffentlichtem, Soundtrack-Beiträgen und anderen Rantäten, und meet the eels, einer Best-Of-Sammlung seiner Band, Eels.

Dieser Name ist mit „Aale“ zutreffend übersetzt. Eine tiefere Bedeutung hat er nicht. Everetts erste Soloplatten zu Beginn der Neunzigerjahre erschienen unter dem Kürzel „E“, und als er eine Band gegründet hatte, sollten deren Veröffentlichungen gleich neben den alten Alben im Laden stehen: „Ich suchte einen Begriff, der am nächsten bei E stand“, erzählt E, „und kam dabei auf ‚Eels‘, was idiotisch war, weil sich in der alphabetischen Ordnung dann natürlich andere Bands dazwischen drängelten, zum Beispiel die Eagles.“ Mehr gebe es dazu leider nicht zu sagen, sagt Everett und zündet sich seine vielleicht erste Zigarette dieses Tages an.

Tatsächlich gibt es ZU den Eels eine ganze Menge zu sagen. Nur ist Mark Oliver Everett nicht der Mann, den man danach fragen sollte. Zu behaupten, er wäre ein schwieriger Interviewpartner, ist nicht ganz zutreffend. Immerhin kennt er drei Arten der Gesprächsführung: stumm, einsilbig und wortkarg. Als der ME ihn das erste Mal traf, 1997 in einem Münchener Hotel, saß uns ein schmaler junger Mann gegenüber, der in den Polstern seines Sessels versank. Auf einfache Fragen antwortete er mit einem Stirnrunzeln, auf schwierigere mit einem spöttischen Lächeln. Und dabei hatten wir noch Glück. In einer australischen TV-Show war damals seine Antwort auf jede einzelne Frage: „Heroin.“

Eben erst war beautiful freak eingeschlagen, das Eels-Debüt von 1996, allerdings fast nur im Reich der Kritiker, die darüber völlig aus dem Häuschen waren. Da klang einer wie eine Mischung aus Beck, Kurt Cobain und Peter Gabriel, mixte HipHop, Grunge und die späten Beatles zu einem Album von verstörender Schönheit. Die noch verstörender wurde, je intensiver man sich mit den Lyrics beschäftigte. In einem Song beschreibt E einen Spaziergang, auf dem sich ihm das ganze Elend eines heruntergekommenen Viertels enthüllt, mit Wahnsinn („there’s a crazy old woman smashing bottles on the sidewalk where her house burnt down twoyears ago’^, Mord („a fifteen year old boy lies on the sidewalk with a bullet in his forehead“) und sozialem Elend in Gestalt von Mädchen, die unmöglich schon die Mütter der Säuglinge sein können, die sie im Kinderwagen vor sich herschieben („and l’m thinking: that must be her sister, that must be her sister, right?“). Unser Erzähler freilich ist beschwingt auf dem Weg zu „Susan’s House“, der Song war einer der ersten Single-Hits der Eels – und zeigt exemplarisch, wie sehr sich auch später der genaue Blick in den Abgrund und die handwerkliche Kunst der Melodie zu einer Popmusik vereinen sollten, die aus dem Formatradio merkwürdig herausragen.

Immerhin fand der Song „Your Lucky Day In Hell“ auf den „Scream V‘-Soundtrack. Eine Eels-typisch schwarze Ironie angesichts des realen Schreckens, mit dem E während und nach der Veröffentlichung von beautiful freak zu kämpfen hatte. Mit 19 Jahren hatte er eines Morgens seinen Vater tot im Bett aufgefunden. Herzinfarkt. Jetzt starben in rascher Folge mehrere ihm wichtige Menschen. Seine depressive Schwester Liz fühlte sich ihrem existenziellen Kummer nicht mehr gewachsen – und schluckte eine Überdosis SchlafmitteL In ihrem Abschiedsbrief kündigte sie an, sie werde den Vater in einem Paralleluniversum wieder sehen. Zu diesem Zeitpunkt war die Mutter bereits unheilbar erkrankt: Krebs. Mit ihrem Tod dämmerte Everett, dass er nunmehr der einzige Überlebende seiner Familie war. Er steckte mitten in den Aufnahmen für das zweite Eels-Album.

Während E erzählt Und es in der Leitung rauscht, bellt im Hintergrund sein Hund. Der Hund, der mehr über sein Herrchen erzählt, als es dem lieb sein kann. Es handelt sich um eine Mischung aus Schäferhund und Bluthund, mit sehr traurigen, sehr treuen Augen. E hat ihn vor ein paar Jahren in einem Tierheim aufgelesen: „Er heißt Bobby und ist immer in meinerNähe“, sagt E und lässt den verkrüppelten Vorderlauf des Hundes unerwähnt. Bobby ziert nicht nur das Booklet von useless thinkets und Backstage-Pässe, sondern hat sogar eine eigene MySpace-Seite, auf der sein Gehalt mit „196.000 Dollar und höher“ angegeben ist. Der Vierbeiner bewohnt in E’s Haus ein eigenes Zimmer mit einem eigenen Bett und einem Ölgemälde – darauf zu sehen: Bobby. So neurotisch das auch sein mag, E meint es ernst mit der seltsamen Partnerschaft: Auf der 33-SongS-Sammlung BLINKING LIGHTS AND other revelations gehört Bobby-neben Größen wie Tom Waits, Peter Bück und John Sebastian von The Lovin‘ Spoonful – zu den Stargästen. Sein bluesgetränktes Jaulen ziert den Song „Last Time We Spoke“, und im selbstgedrehten Video zur Single „Hey Man (Now You’re Really Living)“ ergänzt er, zusammengerollt auf seiner Decke liegend, das E-Gitarrensolo um eine zweite Stimme. Es ist, keine Frage, ein sehr talentierter Hund. Es ist aber auch, als schöbe E den Kameraden vor, um jedwedem Trubel um seine eigene Person zu entgehen. „Einmal habe ich Bobby zu einem Interview in ein Restaurant mitgenommen“, erzählt E und klingt zum ersten Mal ein wenig belustigt, „und er kotzte dem Journalisten auf die Schuhe. Es war eine Riesensauerei.“

Des Künstlers Schwache für „schöne Freaks“ trug aber auch noch ganz andere Früchte. So staunte das Publikum bei der „Shootenanny!“-Tournee 2006 über ein offenbar neues Bandmitglied: einen baumlangen Typen mit „Security“-T-Shirt, Muskeln wie Schwarzenegger und einem Bart wie Hetfield, der auf der Bühne herumtänzelte, in die Luft boxte, mit den Leuten im Publikum kommunizierte und während einer kilometerlangen Version von „Not Ready Yet“ auch mal für eine Weile die E-Gitarre übernahm: „Das ist Big AI, und er war tatsächlich Ordner, als ich ihn kennenlernte“, sagt E: „Ich stellte fest, dass er verborgene Talente hatte, und Talente soll man fördern. Also hab ich ihn für die ganze Tournee engagiert. War doch unterhaltsam, oder?“

Vielleicht aber führt des Künstlers Schwäche für tragische Außenseiter tiefer, in die Geschichte seiner Familie, zu den Wurzeln seines Schaffens – und seines eigenen Charakters, useless trinkets und meet the eels sind, wie E bestätigt, nur die beiden „letzten Bausteine in einer Reihe von Veröffentlichungen, die so eine Art Großreinemachen darstellen“. Man könnte auch Therapie dazu sagen.

Ursprünglich wollte die Plattenfirma das Zehnjährige der Eels nur mit einer Compilation begehen. Deren Zusammenstellung übernahm E lieber selbst: „Wenn ich mir diese alten Sachen anhöre, geht es weit hinein in die Vergangenheit. Ich habe Linernotes zu jedem einzelnen Stück geschrieben… „In einem ähnlich lapidaren Ton hat er gleich noch eine komplette Autobiografie verfasst, „das Schwerste, was ich mir jemals vorgenommen habe“. Sie trägt den Titel eines Songs auf blinking lights…: „Things The Grandchildren Should Know“. Und darin geht es eben auch um E’s Vater, den erratischen Quantenphysiker Hugh Everett. 19 Jahre hatte er mit diesem wortkargen Mann unter einem Dach gewohnt – und ihn das erste Mal berührt, als er ihn tot in seinem Bett fand: „Wir haben in unserer Familie nie über Gefühle geredet. Stattdessen herrschte ironische Atmosphäre und ein sarkastischer Humor“, sagt E: „Das war okay. Kann sein, dass das auf mich abgefärbt hat.“

Vielleicht hätte er seine Autobiografie nie geschrieben, wäre da zuvor nicht diese BBC-Dokumentation gewesen, die all die anderen Steine erst ins Rollen brachte: In „Parallel World, Parallel Lives“ macht sich E auf eine Reise in den Kopf seines Vaters – und versucht parallel dazu, seine revolutionäre Theorie der „Multiversen“ zu verstehen. Hugh Everett war 24, als er seine Theorie formulierte, dass es nach allen Regeln der Quantenphysik nicht nur eine Parallelwelt, sondern unendlich viele Universen geben müsse. „Er war zu früh zu klug“, sagt heute sein Sohn, „denn niemand konnte das nachprüfen und keiner glaubte ihm. Das hat meinen Vater sehr enttäuscht, aber nie seinen Glauben an seine Theorie erschüttern können.“ Wie auch immer: Nach einer unglücklich verlaufenen Debatte mit dem dänischen Physik-Nobelpreisträger Niels Bohr zog sich Everett Senior aus dem wissenschaftlichen Betrieb zurück, heuerte beim Pentagon an – und blieb sein Leben lang wortkarg, einsilbig und stumm.

„What it must have been like for him/living inside his head / I feel like he is here with me now I even though he is dead“, sang später der Sohn über den Vater, für den unzählige parallele Universen Realität waren. Also ein Universum für M.E. und eines, in dem man Mark Oliver Everett sein kann. Ein Universum für E, eines für den Man Called E, eins für Mr. E und immer so weiter. „Je mehr ich ihn kennenlerne“, sagt Everett in einer der berührendsten Szenen des Films, „desto mehr mag ich ihn“. E sitzt dabei mit einer Zigarre im Garten, es ist Hochsommer. Und dann sagt er: „Es fühlt sich an, als wäre er jetzt hier irgendwo“, als es plötzlich blitzt, gefolgt von einem Donner. E bleibt für ein paar Sekunden reglos sitzen, bevor er lächelnd anmerkt: „Das wird klingen, als hätten wir es nachträglich eingefügt. Too fucking perfect.“

Auf einer alten Kassette ist der Vater zu hören, wie er mit Gästen scherzt. Im Hintergrund trommelt der Sohn auf einem Spielzeugschlagzeug herum. Irgendwann ruft eine Kinderstimme: „Hello there! My name is Mark Everett! I am very great! You know it because I am great and beautiful and superfantastic great“, und irgendwie stimmt das auch heute noch. >»www.eelstheband.com