Kolumne

Paulas Popwoche: Charity, Schmarity

Paula Irmschler schlägt in ihrer Kolumne vor: Lasst uns unsere eigenen ESCs und Bälle machen!


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Ist der Papst katholisch? Ernstgemeinte Frage, ich bin nicht sicher. Ich habe auch noch nicht komplett verstanden, was die evangelischen Leute nun von Katholiken unterscheidet und was es da noch alles gibt. Und was muss man über sich geschüttet oder in den Mund gelegt bekommen haben, um Papst werden zu können? Rätselhaft! Es gibt Feiertage, Fasten, Auferstehungen, Sünden, Kerzen und man muss heiraten.

Wir im Osten hatten nur Jugendweihe, man trug irgendeinen Fetzen von C&A, versammelte sich in einem Theater, eine Gruppe von Schauspieler*innen (?) sang „Heal The World“, man händigte uns ein Buch über unser schönes Bundesland aus, danach ging man essen. Die mit Geldeltern bekamen Geld und machten später davon den Führerschein oder holten sich ein paar Nike Air Max.

Prunkvoller als bei unserer Jugendweihe wirkte die Meute bei der Papstwahl aber auch nicht. Es scheint keinen Dresscode gegeben zu haben. Aber wie zu oft in letzter Zeit, verfolgte einen auch da der Dudelheini Harry Styles. In Berlin, wo ich manchmal bin, strukturiere ich meinen Alltag mittlerweile so, dass ich ihm nicht begegne. Einfach nur, um eben nicht eine dieser Personen zu sein, die Harry Styles in Berlin gesehen hat, wie mittlerweile jede*r dritte auf TikTok. Das Gute ist, dass er eh genau da ist, wo man nicht sein will. Berghain, Mitte, Papstwahl.

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Und was trägt er? Ein Statement-Cappy! „Techno is my Boyfriend“. Da weiß man immerhin, wofür er steht, nämlich für das langweilige, ironische Berlin. Beim Papst hingegen ist noch großes Rätselraten angesagt. Gegen Trump, gegen Krieg, aber auch gegen zu Fortschrittliches? Gib uns ein Zeichen, flehen die Kirchenjünger(*innen). Oder wie wir Berliner*innen sagen:

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Auch sonst ging das Ding unspektakulär über die Bühne. Man hatte das Gefühl, auch wenn es wahrscheinlich nicht stimmt, dass mehr Augen auf die Met Gala gerichtet waren. Popkulturell sowieso. Und da brach sie sich Bahn: Die Diskussion, die sich die letzten Jahre schon darum angedeutet hat, wurde nun doller ausgefochten. Es ging darum, ob die Met Gala sowas wie die „Hunger Games“, also Brot und Spiele fürs Volk sei, eine Ablenkung von den wahren Problemen der Welt – die man eigentlich immer unter Armut bzw. ungenügendem Zugang zu Ressourcen zusammenfassen kann. Auch beim Fußball gab es die Diskussionen in den vergangenen Jahren, aber hier scheint es noch einfacher, das Missverhältnis auszumachen. Schließlich geht es bei der Met Gala nur noch ums Zeigen von teurem Zeug, man erinnert sich an Bälle von Königshäusern früher, während vor den Toren die Leute verreckten.

Andere entgegneten, dass es ja ein Event ist, bei dem Spenden gesammelt werden, es gehe in erster Linie um den Erhalt und das Zeigen von Kultur und Kunst. Außerdem könnte man ja die Gelegenheit nutzen, um ein Zeichen zu setzen, zum Beispiel indem man halt eine Parole auf sein Kleid schreibt, sich einen Button anheftet oder noch vom roten Teppich aus einen frechen Tweet schreibt.

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Ich fürchte aber, dass das mal wieder eine Drumherumdiskussion ist, wir kennen und lieben sie alle und sie kann geführt werden, aber wir müssen tiefer rein. Vielleicht ist es wichtig, sich weiterhin zu fragen, was das alles bringt – auf Dauer und für alle.

Vielleicht sind viele Leute im Internet ja so wütend auf solche Veranstaltungen, weil sie sich seit Jahrzehnten (auch) von der Popkultur erzählen lassen, dass irgendwas besser wird, wenn nur ein paar Reiche und Berühmte sich ein paar Mal im Jahr zusammen tun, Geld sammeln, große und kleine Reden schwingen und mal was rüberwachsen lassen. Vielleicht checken viele Leute, dass es nicht mehr reicht, auf die Gutmütigkeit von Reichen zu vertrauen. Vielleicht sehen sie, dass Gewalt, Herrschaft und Macht sich nicht durch Glamour auflösen, egal wie schön das wäre.

Die Galas haben Armut nicht beendet, keine Supergroup Hunger verhindert und keine Charity-Foundation Kriegsleiden aufgehoben. Klar, hier und da wird was geholfen haben, angekommen sein, gut gemeint gewesen sein. Und natürlich haben die Promis auch nie behauptet, dass sie das Sytem verändern. Aber vielleicht haben viele Leute einfach keine Geduld mehr. Vielleicht wollen sie nicht mehr ein paar Krümel hingeworfen bekommen, sondern dass uns allen die Bäckerei gehört.

Und geht es, um mal zurück zur Met Gala zu kommen, wirklichwirklich um Kunst und Kultur, und nicht eher um Mode, die nicht zufällig sehr teuer ist und nicht zufällig an sehr reichen Leuten hängt und um riesige Beauty- und Kulturkonzerne, die am allermeisten von solchen Imageveranstaltungen profitieren – und nebenbei auch noch jede progressive Bewegung kapitalisieren?

Wollen wir uns jetzt wirklich weiterhin bei jeder Verleihung, Gala, bei jedem Konzert und Instapost von Celebrities mit oberflächlichsten Aktivismusvortäuschugen abspeisen lassen? Zur Zeit verkürzt und entkontextualisiert zum Beispiel gefühlt jeder zweite Star den Krieg in Israel und Gaza auf die hohlsten Parolen und Symbole, die sich von alten ebenso hohlen nicht unterscheiden, wie „Give Peace A Chance“ oder „Make Love, Not War“. Das ist ja alles nicht falsch, aber richtig auch nicht. Es reicht nicht. Vielleicht bleibt Pop doch einfach Pop.

Es ist die süße Harmlosigkeit dieses (wunderbaren) Songs all over again.

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„Make a little space
Make a better place“

Hach! Aber wir müssen erstmal festlegen, wie dieser „better place“ aussieht, sodass er für alle besser ist und dafür müssen manche Leute nicht nur ein „little space“ machen, sondern ganz schön viel. Sie müssen was abgeben und das nicht durch Charity, sondern weil sie müssen. Wir bräuchten keine Galas, wenn Kohle und Ressourcen gerecht verteilt würden. Jede*r könnte Mode machen und tragen, sie würde vielleicht auch etwas interessanter sein. Make-up würde Spaß machen, Körper verschieden aussehen, Gesichter würden sich bewegen, Menschen könnten altern und Raum einnehmen.

Leider ist auch der ESC keine Veranstaltung, die uns Gerechtigkeit bringen wird, auch wenn wir noch so gern sein progressives Potenzial beschwören. Wo es in erster Linie um die Befriedigung von Marktinteressen geht, wird man sich immer für das entscheiden, was den Status quo erhält. Deshalb sind beim ESC Nationalflaggen erlaubt und Prideflaggen nicht. Gewinner*in aus dem letzten Jahr, Nemo hatte schon damit zu kämpfen…

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Das ist alles kein Aufruf, sich von Pop abzuwenden, sondern auf seine politischen Heilsversprechen nicht reinzufallen, sondern völlig zurecht mehr zu fordern. Lasst uns unsere eigenen ESCs und Bälle machen. Ohne die Promis, aber mit deren Kohle, die wir ihnen abluchsen. For you and for me and the entire human race. Ihr seid jetzt alle Papst!

Was bisher geschah? Hier alle Popkolumnentexte im Überblick.

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