Peter Gabriel: Schritt ins Ungewisse


Zehn Jahre hat Peter Gabriel die Welt auf den Nachfolger des Millionensellers "Us" warten lassen - ein "Weltrekord", der ihm auch Probleme schafft.

Wenn man Peter Gabriel erstmals wiedertrifft, seit er zuletzt als Popstar in der Öffentlichkeit stand, fällt ein Widerspruch an ihm auf: Zwar haben die Jahre ihre Spuren an ihm hinterlassen – die Silhouette des 52-Jährigen ist deutlich runder, sein Haupthaar spärlicher und grau geworden, das silbrige Zopfbärtchen an seinem Kinn verleiht ihm etwas von der Aura eines chinesischen Gelehrten. Aber sein Blick begegnet dem Beobachter mit der selben jugendlichen Intensität und Wachheit, wie in den Tagen von „Sledgehammer“ oder „Diggin‘ In The Dirt“.

Es ist ein strahlender Sommertag in der Bilderbuchlandschaft von Wiltshire. Gabriel sitzt im Halbschatten eines Salons im Gästehaus seines Real World Studiokomplexes – äußerlich relaxt, doch als er spricht, wird in ihm Anspannung spürbar: Der gebürtige Londoner muss in eine Rolle zurückfinden, der er sich geradezu systematisch entwöhnt hatte, das Interview gehört zu den ersten Schritten auf diesem Weg: Seit dem Ende der „Secret World Tour“ vor acht Jahren hat Gabriel nicht mehr das Leben eines Popstars geführt – eher das eines Multimedia-Künstlers und -Unternehmers.

Die Vielzahl der Projekte, in denen der Absolvent der noblen Charterhouse Privatschule seine Finger hat, gilt als Hauptgrund für die rekordverdächtige Wartezeit auf sein neues Studioalbum „Up“: Seit 1989 ist Gabriel Inhaber der Real World Holding, zu der die gleichnamigen Tonstudios in einer umgebauten Mühle in Box, das Weltmusik-Label Real Word Records, eine Multimedia- und eine Design-Agentur, die Firma Peter Gabriel Limited, und die Festivalserie Womad („World Of Music Arts And Dance Festivals“) gehören. 1999 gründete Gabriel zudem den Online-Musikvertrieb 0D2, einen Dienstleister für Plattenfirmen. In den vergangenen Jahren hat Gabriel zudem an einem Multimedia-Spektakel für den Londoner Millennium-Dome mitgewirkt (die Musik dazu erschien er auf dem Album „Ovo“), an der Universität von Georgia mit Menschenaffen musiziert, den Soundtrack zu dem australischen Spielfilm „The Rabbit-Proof Fence“ eingespielt (erschien im Frühjahr 2002 unter dem Titel „Long Walk Home“) und sich für die Menschenrechtsorganisation WITNESS engagiert.

Faul ist der „notorisch Neugierige“ [Gabriel über Gabriel] also nicht gewesen, doch wickelte er seine Unternehmungen meist hinter den Kulissen ab. Ins Blickfeld der Öffentlichkeit und speziell ins Fadenkreuz der Boulevardmedien musste sich Gabriel dafür nicht begeben. Doch wenn „Up“ so ein Erfolg wie seine Vorgänger werden soll, muss sich sein Schöpfer wieder den Erfordernissen der Publicity stellen und so sinniert er: „Es gibt an der Popstar-Geschichte auch Aspekte, die mir Spaß machen, speziell natürlich das Musikmachen selbst. Dazu treibt es mich einfach, egal ob ich damit Geld verdiene oder nicht. Im Urlaub fange ich spätestens noch zehn Tagen an, ein Klavier zu suchen… Das Popstar-Spielen kann Spaß machen – aber nur solange es gelingt, das vom tatsächlichen Privatleben fern zu halten…“ Volle zehn Jahre sind seit seinem letzten regulären Studioalbum „Us“ ins Land gegangen. Seitdem ist mehr als eine neue Hörergeneration herangewachsen. In dieser Zeit hat sich auch das Programm von MTV verändert, das mit seiner massiven Rotation für Gabriels

Videoclips zu „Sledgehammer“ und „Digging In The Dirt“ dessen Durchbruch zum Megastar erst möglich machte. Auch wenn der Genesis-Mitgründer eine treue Fangemeinde hat – wie groß ist das Käuferpotential für „Up“ noch? „Ich weiß“, seufzt Gabriel und streicht sich über das Kinnbärtchen, „es ist diesmal ein verdammtes Risiko. Aber ich bin nun mal mehr daran interessiert, ein geistig herausforderndes Leben zu haben, als den Fließband-Schemata des Musikbusiness gerecht zu werden.“ Doch wie lange hat das „Privileg, dass ich meine Alben erst dann zu veröffentlichen brauche, wenn ich künstlerisch so weit bin und nicht, wenn ich Rechnungen zu bezahlen habe“, noch Bestand? Muss „Up“ Geld für Gabriels andere Aktivitäten einspielen? Der Multi-Unternehmer wiegelt ab: „Viele der Dinge, die mich lange Zeit Geld gekostet haben, tragen sich inzwischen selbst-beispielsweise erwirtschaftet WOMAD inzwischen Gewinne. Real World Records trägt sich inzwischen solide – ein paar meiner Spielwiesen finanzieren sich also und auch bei den anderen besteht begründete Hoffnung, dass sie eines Tages so weit sind denn auf der anderen Seite wird der Tantiemenfluss aus meinen früheren Hits zugegebenermaßen mit den Jahren natürlich dünner…“

Da ist es hilfreich, dass Virgin Records im Frühjahr Gabriels Backkatalog als Remaster-Edition wiederveröffentlichte. Der Musiker selbst will sich jedoch weder künstlerisch noch kommerziell auf den Meriten der Vergangenheit ausruhen, sondern wünscht sich auch neue Hörer, „ein möglichst breit gefächertes Publikum, nicht nur Leute aus meiner Altersklasse und mit einem ähnlichen Background wie ich, aber das kriegt man halt nur mit einem Singlehit oder einem erfolgreichen Video…“ Da aber liegt der Hase im Pfeffer: „In vielen Ländern ist es für Musiker wie mich inzwischen viel schwieriger geworden, ins Radio zu kommen.“ Dennoch klingt „Up“ mit einer halben Ausnahme (dem auf den berüchtigten US-Talkmaster Jerry Springer gemünzten und an „Sledgehammer“ erinnernden „The Barry Williams Show“) nicht, als ob Gabriel & Co. bewusst versucht hätten, Hitsingles zu produzieren. „Nein, es ist kein Pop-Album, „erklärt der Künstler, „es ist das Album eines 52-jährigen Mannes, der sich seiner Sterblichkeit bewusst ist. ‚Up‘ gibt sich keine Mühe so zu tun, als sei es eine Platte für Teenager.“

In der Tat beschäftigen sich allein fünf Songs mit dem Thema ‚Tod‘. „Mein Vater ist jetzt 90, ich habe einen Schwager durch Hautkrebs verloren, ich habe erlebt wie Freunde starben oder mit Krebs zu tun bekamen – so um die fünfzig wird das Thema für einen einfach realer… „Auf „Up“ findet sich nun die Auslese aus einem im Lauf der vergangenen Dekade aufgetürmten Materialberg.“ Gut 130 Skizzen, Ideen und unfertige Songs hatten sich angesammelt – ich hatte also reichlich Material,“ erzählt Peter Gabriel und lässt sich zu einer, angesichts der Entstehungsgeschichte von „Up“ kühnen, Prognose hinreißen: „Jetzt habe ich schon wieder genug Songs für ein weiteres Album. Das wird wohl nächstes Jahr auf den Markt kommen und ‚I/O‘ heißen.“

Ob er da den Mund nicht zu voll nimmt? Immerhin hat der Vater zweier erwachsener Töchter gerade sein Familienleben neu geordnet: Im Juni heiratete er seine irische Lebensgefährtin Meah Flynn, mit der er einen einjährigen Sohn hat. Grund genug, künftig „eine neue Balance zu finden. Ich habe gelernt, dass ich am erfolgreichsten und glücklichsten bin, wenn die Verhältnisse daheim stimmen.“ Wie aber passt in dieses Bild der neuen Balance die Tatsache, dass der Umtriebige nun auch noch Wirt wird? Er hat kürzlich das Hotel Le Capanni auf Sardinien, in dem seine Hochzeit stattfand, gekauft.

„Mein Traum ist, dort Freunde und Familie wohnen zu lassen, Brainstorm-Meetings und Konferenzen abzuhalten, also Arbeit und Vergnügen besser miteinander zu verbinden…“

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