Pop macht Politik


Die Band ist so englisch, englischer geht’s gar nicht. Es gibt keine politische Frage, zu der Style Council und Paul Weller nicht schon seinen Senf gegeben hätten. Außerdem ist der Mann überzeugter Mod-Fan. Steve Lake traf sich mit seinem engagierten Landsmann auf eine Tasse Tee.

Ein Anfall von Heimweh packt mich geradewegs bei der Nase, als ich den Backstage-Bereich der Frankfurter Jahrhunderthalle betrete. Fish & Chips! Gebackene Bohnen! Der nostalgische Gestank von altem Fett, Tomatenketchup, Essig und starkem Tee. Kurz, es ist eine perfekte Nachbildung eines Autobahncafes irgendwo im Londoner East End.

Draußen auf der Bühne kämpfen sich Style Council durch den Soundcheck. Paul Weller gibt mir einen festen, männlichen Händedruck und fragt mich, ob ich etwas trinken möchte. 0 ja, ein schönes Tässchen Tee. sage ich idiotischerweise wie ein vorprogrammierter englischer Roboter. Er kommt mit zwei blau-weiß gestreiften Tonbechern zurück. Sogar die Sprünge in den Bechern sehen original britisch aus!

Das Gespräch vertieft sich augenblicklich in die schmierige Welt englischer Politik, deren Details den durchschnittlichen deutschen Leser kaum interessieren dürften. Zwischendurch weist Weller die Vermutung zurück, daß Red Wedge — das linkspolitische Kollektiv, das er zusammen mit Billy Bragg u. a. gegründet hat lediglich ein Wahlhelfer für die britische Labour-Partei sei.

„Das wurde durchweg falsch dargestellt, aber das war nie dus Konzept von Red Wedge und schon gar nicht das von Style Council. Die Idee, mein Talent dafür einspannen zu hissen, daß (der Labour-Boß) Neil Kinnock Premierminister wird … ich finde das ekelhaft. Natürlich gibt es innerhalb von Red Wedge Unstimmigkeiten, eine ganze Palette politischer Meinungen, aber im Endeffekt sind wir uns alle in einem Punkt einig: Wir wollen Thatcher und die Tories raus haben. Die hauen wir jetzt neun Jahre lang. Das ist mehr als genug.“

Diese Einstellung ist natürlich auch Teil von Style Councils Musik. Macht sich Weller Gedanken darüber, daß die Themen seiner Songs die Musik provinziell werden lassen und den Zuhörerkreis einschränken?

„Ich denke schon darüber nach. Aber als Songwriter kann ich nicht mehr tun, als auf meine Umgebung und meine Erfahrungen zu reagieren, und die sind alle mit England verwurzelt. Die Sprache stellt immer eine Art Schranke dar, aber ich glaube, ich halle mich im Vergleich zum durchschnittlichen Popschreiber noch einigermaßen zurück. Man muß einfach darauf hoffen, daß die Musik den Leuten, die Message‘ oder was auch immer, näherbringt. Ich glaube, daß die meisten Leute sowieso zunächst mal von der Musik angesprochen werden.“

Was seine frühere Gruppe The Jam betrifft, so ist deren Message damals in Amerika, wo die Verständlichkeit der Texte kein Problem sein dürfte, überhaupt nicht angekommen …

Ja, aber das amerikanische Radiosystem praktiziert fast schon eine Art Apartheid. Wenn du als weiße Bandeine Musik machst, die ihre Wurzeln zum Teil im Soul und Jazz hat, dann wissen sie nicht, was sie mit dir anfangen sollen.“

Aber die linksgerichtete Einstellung ist wahrscheinlich auch keine Hilfe. In Italien dagegen kommt allein schon die Erwähnung von Sozialismus einer Eintrittskarte zum Erfolg gleich. Sogar Working Week sind in Italien groß angesagt. Style Council natürlich auch.

Aber es ist das Style in Style Council, das wiederum die Herzen der makellos sauberen Japaner schmelzen läßt. Im fernen Osten siehen sie halt unwahrscheinlich auf Mods.

Heute sieht Weiler total nach Mod aus. Als ob er geradewegs aus dem Who-Cover von MY GENERATION rausgestiegen sei. Er trägt ein tiefgrünes Fred Perrv-Polohemd und eine ausgebeulte grau-weiß-karierte Hose, dazu weiße Socken und schwarze Mokassins. Die Haare sind stufig geschnitten und blond gebleicht, wie eine Mischung aus frühem Roger Daltrey und früher Mia Farrow.

Obwohl er gerade sechs Jahre alt war. als The Who, die Small Faces und Action durch die Carnaby Street tobten, spricht er mit einer fast religiösen Ehrfurcht vom Mod-Credo. Die hatten gute Ideen, sagt er und redet vom Mod-Dasein als einer Art Existenzialismus: “ Nie zurückschauen/im Moment leben.“

„Die Leute werden vielleicht sagen, daß ich mich auf die oberflächigen Merkmale der Mods konzentriere — Kleider und Platten. Aber für mich sind die wichtig, sie sind Kulturgut. „

Was für Musik hört also ein 30 Jahre alter Mod?

„Anita Baker und Cameo habe ich mir angeschaut und beide gut gefunden. Curtis Mayfield, den kann man sich immer anschauen. „

Wie Curtis, dessen „More On Up“ die Erkennungsmelodie von Red Wedge ist, ist auch Weller durch sein soziales Engagement zum Ansprechpartner für Veranstalter karitativer Aktionen geworden. Er hat seinen Teil für Live Aid, Band Aid und die streikenden Kohlearbeiter geleistet, aber wie wir alle hat auch er von dem Ganzen langsam genug. Boy Georges‘ Initiative, eine Platte für die Opfer der Fährschiff-Katastrophe aufzunehmen, hat er nicht unterstützt.

Jen will nicht zynisch sein; ich hasse Zynismus. Aber ein Teil von mir sagt: , Wart mal, irgend etwas ist da nicht ganz in Ordnung.'“

Von Sting vor nicht allzu langer Zeit in diesem Heft als „ein miserabler Saukerl“ gescholten, gibt Weller zu, daß es alles andere als gemütlich war. mit den britischen Pop-Größen ein Mikrophon zu teilen. „Primi habe ich mit diesen Leuten gar nichts zu tun. Ich kann mich bloß darüber amüsieren, wie wichtig sie sich nehmen. Dabei sind die meisten von ihnen einfach schrecklich untalentiert.

Ich fühle mich vielmehr als Arbeiter oder Handwerker. Als Songwriter besser werden und hart an der Gitarre arbeiten im vollen Bewußtsein der Tatsache, daß ich nie so gut sein werde, wie ich es will.“

Musikalisch will Weller dieser Maxime verstärkt Rechnung tragen. „Die nächste Tour könnte fast ohne Elektronik ablaufen. Wir wollen den Sound mal ganz unverfälscht bringen. Du kennst nicht zufällig einen guten Vibraphonspieler? Es ist unheimlich schwer, in London einen guten Vibes-Spieler zu finden. „

Als vor meinem geistigen Auge gerade eine Liste meiner Jazz-Bekanntschaften abläuft, klopft es an die Garderobentür. Es ist einer der kochenden Roadies. „Ah, Paul… ich muß euch unterbrechen. Mann. Dein Essen wird kalt.“