Popkolumne, Folge 139

It takes two, baby: Die schönsten & scheußlichsten Pop-Duette (die Linus Volkmann einfallen)


Der Weg zu zweit ist halb so weit: In dieser Kolumne dreht sich alles um die popmusikalische Verdopplung. Vorsicht, Duett. Von Peaches & Iggy Pop über Courtney & Kurt zu Nina & Lotta Kummer – das alles natürlich nicht ohne Dirk von Lowtzow & Anja Plaschg zu rammen. It takes two, baby, just me and you. 

DUETT, DUETT… WAS SOLL DAS EIGENTLICH?

Also damit ist vor allem NICHT gemeint, dass sich irgendwelche Künstler*innen aus struktureller Ratlosigkeit mal wieder gegenseitig zu einem „Feature“ einladen. Nein, ich persönlich war schon immer Fan von den musical-haften Momenten des „echten“ Duetts. Also, dass sich zwei Menschen ansingen. „You’re the one that I want / whoop whoop whooo“.

Der konkrete Aufhänger, mich in dieser Popkolumnen-Ausgabe als Einzelner in all diese Zweisamkeit zu drängen, ist das aktuelle Video von Tocotronic: In „Ich tauche auf“ säuseln sich Sänger Dirk von Lowtzow und Anja Plaschg alias Soap&Skin einen vor.

Neue Tocotronic-Single: Dirk von Lowtzow singt mit Soap&Skin „Ich tauche auf“

Das Prinzip Duett wird dort wirklich ausperformt. Die letzten Tage habe sicher nicht nur ich mich immer wieder gefragt: Ist das Ergebnis jetzt fantastisch – oder komplett cringe?

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„ICH TAUCHE AUF“, TOCOTRONIC VS. SOAP&SKIN

Versteht mich nicht falsch, ich muss nicht mehr meinen Kopf minutenlang zu Pantera gegen die Wand schlagen, aber wenn die gezupften Zither-Gitarren erklingen, mit denen das Toco&Skin-Duett beginnt, dann umweht einen ein bisschen arg viel von diesem „Das Sandmännchen ist da“-Swag. Ist das noch Indie-Schönklang oder schon der süße Hauch der Verwesung?

Fakt ist jedenfalls: Meine Mutter hat früher geweint, wenn ich im Jugendzimmer mal wieder „Ich verabscheue euch wegen eurer Kleinkunst zutiefst“ von Tocotronic auf zehn und in Endlosschleife laufen ließ. Könnte sie dagegen „Ich tauche auf“ hören, sie würde wohl sagen: „Alter, wie wenig willst du denn noch flexen mit deinem neuen Volksmusik-Grind?“

Nun ja, Mütter eben. Aber apropos Familie… irgendwie geht es in dem verrätselten Songtext um Inzest, oder?

„Du hast deinen Mund / Fest an mich gepresst / Weil du mein Bruder bist / Hast du mich dort geküsst / Man spricht schlecht von mir / Nicht so bei dir“

Da kein Lösungsbuch zu der Toco-Lyrik existiert, ja es vielmehr bereits als unschicklich gilt, überhaupt etwas zu dem popromantischen Genius-Gefasel nachfragen zu wollen, muss man hier wohl mit meiner Interpretation vorlieb nehmen: Wenn Bruder und Schwester rummachen, ist das gesellschaftlich für die Frau ein Problem – für den Typ eher nicht. Damn you, Ungleichheits-Gesellschaft! Klingt bekloppt? Finde ich auch. Aber Hermeneutik ist eben nicht meine Stärke.

Also besser das Augenmerk aufs Video, aufs eigentliche Duett: Wir sehen, wie Anja Plaschg und Dirk von Lowtzow aufeinander einfummeln. Als hätte das Akademiker-Pärchen von gegenüber bei einer Art performativem Frottee-Sex mal wieder „vergessen“, die Vorhänge zu schließen. Das Setting des Clips lehnt sich dabei offensichtlich an die Schattenwelt von „Stranger Things“ an, die rote Tür im Nichts möglicherweise ein Verweis auf „Insidious“, der besungene „Schlund“ hat was von Jabba The Hutts Sarlacc Pit („Star Wars“) – doch bei all der Fantasyfilmhuberei schmunzelt die Bildkraft uns natürlich vor allem eines entgegen: „Theater, Leute!“. Ginge auf einmal Réne Pollesch mit wirren Haaren bei unseren beiden Akteuren dazwischen, niemand würde sich wundern. Doch stattdessen sehen wir im Laufe des Clips noch die anderen top old Toco-Boys, wie sie für uns Zärtlichkeiten spielen. Niedlich!

„Ich tauche auf“ ist nicht bloß ein Duett, das Mund auf Schlund reimt und unsere Fremdscham-Sensoren bluten lässt, es ist auch eine so offen zur Schau gestellte Verletzlichkeit, dass man am Ende trotz aller Kritik meiner Mutter („brutal wack!“) gar nicht anders kann, als sich irgendwie doch auf die neue Platte im nächsten Januar zu freuen. Was für Zumutungen hat „die freche Truppe mit den Trainingsanzügen“ (Stern) wohl noch so im Gepäck? Auf dass uns nicht nur des Nachts im Schlund die Geister unserer Indie-Vergangenheit heimsuchen mögen…

5 DUETTE, DIE ICH EMPFEHLE

Courtney Love & Kurt Cobain – „Stinking Of You“

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Markus & Andrea Schneider – „Kleine Taschenlampe brenn“
[Anmerkung: Im „Formel Eins“-Film performt Markus den Song zwar mit Nena, aber als Single durfte er das Stück nicht mit jener herausbringen. Das Nena-Management hat’s untersagt, daher hören wir stets die Version mit Andrea Schneider. Ich sag mal: Geil genug, Leute!]

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Peaches & Iggy Pop – „Kick it“

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Drugstore & Thom Yorke – „El President“

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Pia Zadora & Jermaine Jackson – „When The Rain Begins To Fall“

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DREI DUETTE VOR DENEN ICH WARNE

Revolverheld & Marta Jandová – „Halt dich an mir fest“
Dieser ewige Zwang, nur zu zweit komplett zu sein. Wer hat das eigentlich erfunden? Keine Ahnung, aber Johnannes Strate und Marta Jandová (Die Happy) lassen Love so belastend erscheinen – nach diesem Clip atmet jeder Single durch.

Revolverheld & Antje Schomaker – „Liebe auf Distanz“
Noch ein larmoyantes Duett mit Revolverheld-Hintergrund. Thema diesmal: Wie schlimm sind Fernbeziehungen? Mal wieder nur eingeschränkter Service im Bordbistro und Zug-WLAN funktioniert nicht.

Finch Asozial & Big Ballermike – „Der letzte echte Macho“
Ein Duett aus der toxischen Pissrinne, das sich selbst dabei allerdings für nicht weniger als supersmart hält. Wenn diese zwei halbsteifen Würstchen alpha sein sollen, ist mir ehrlich gesagt beta schon zuviel. Männlichkeit als Last. Hier tropft geiles Wasser aufs Kinn, hier ist ein Testo-Shithole das gelobte Land. Klingt wie der retardierte Soundtrack der „No Ma‘am“-Bewegung von Al Bundy.

VIER WEITERE HOCHINTERESSANTE DOPPELWESEN

Ferdinand Führer & Roland Van Oystern
Diese beiden Männer sind auch optisch ein Genuss. Der riesige Führer mit dem Muttermal und dem gütigen Blick und daneben der vogelhafte Van Oystern, der schon wieder schaut, als wären beim Fische füttern alle für immer weggeschwommen, bevor es richtig losging. Zusammen und allein sind sie die freundlichsten und niedlichsten Leute überhaupt, doch wie bei allen Sympathieträgern sieht es hinter der Kulissen natürlich auch mal düster aus.

So kann man in ihrem neuen Buch, ihren gesammelten „Titanic“-Kolumnen, viel Negatives lesen: Der Hundehalter gehört eingewiesen, der Kultur-Entscheider ans Fließband, den Podcastern solange ihre eigenen Erzeugnisse vorgespielt, bis ihre Hirne Teer sind.

Führers und Van Oysterns Projekt heißt eben „Kritik am Mitmensch“ und für den Mitmensch, das wissen beide, ist Jesus garantiert nicht am Kreuz gestorben. Eher im Gegenteil. Ein derart kurzweiliges Buch, voller Wahrheit und Abgründe, das muss man erstmal verkraften. Führer und Van Oystern ist es offensichtlich gelungen und erschienen ist es im Ventil Verlag. Die Illustrationen stammen von Lisbert, einer „hochdekorierten Kunstautorität“, die auch tätowiert. Klingt gut.

Nina Kummer & Lotta Kummer
Die Kritik am Zeitdieb-Phänomen Podcast von Führer und Van Oystern betrifft natürlich nicht „Da muss man dabei gewesen sein“ – die schwesterliche Talkrunde aus der Erfolgsschmiede „Kummer/Chemnitz“ verbreitet alte und brandneue Anekdoten, für die man gern das Geschirr zweimal spült beim Hören. Aktuell bekommt Nina einen Weisheitszahn und Lotta erzählt über Stuhlgang vor Pflanzen. Früher habe ich immer „Reich und Schön“ geschaut, heute ist dieses Duo hier meine Soap des Vertrauens.

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Johannes Floehr & André Lux
Die Tom & Jerry der ganz großen Comedy-Kleinkunst: Johannes Floehr heißt fast wie eine Blume und lebt auf Bühnen, auf denen er lustige Geschichten erzählt. Gefühlt mehrmals im Monat gewinnt er Preise, von denen man noch nie zuvor gehört hat, die man dann aber sofort auch gern hätte. André Lux ist der Schöpfer von Egon Forever und genießt deutschlandweiten Nerdweltruf. Seine verwinkelten Welten kleidet er unaufhaltsam weiter aus. Gegen seinen Barbakulor wirkt selbst Perry Rhodan nur noch wie ein einzelnes Grafitto an der Hauswand.

Zusammen haben Lux und Floehr nun ein Schwarm-Projekt aufgestellt: Ganz viele Leute, die auf eher lokalen Bühnen auftreten, sowie einigermaßen prominente Künstler*innen schreiben ihre schlimmsten beziehungsweise unterhaltsamsten Anekdoten von dort auf.

Präsentiert wird so die vielstimmige Antwort auf die Frage: „Was war dein beschissenster Auftritt?“ Lux hatte sowas schon mal in kleinerer Version lanciert, mit seinem Floehr wird das jetzt aber das nächste ganz große kleine Ding – und riecht nach kaltem Zigarettenrauch oder altem Schweiß, wie wenn einem der geschwätzige Veranstalter den Club des Abends aufschließt und man sich fragt, wer sich hier nachher wohl zur Show hinverirren wird.

Zu bestellen unter: https://www.lektora.de/buecher/abendkasse-eure-schlimmsten-buehnenstorys/

PS: Der gesamte Erlös des Buches geht an #handforahand, eine Initiative für freiberufliche Bühnenarbeiter*innen, Licht- und Tontechniker*innen, Stage Hands und Veranstaltungshelfenden.

Foto: Johannes Floehr / Facebook

Dr. Reyhan Şahin a.k.a. Lady Bitch Ray vs. Kimsy von Reischach
Auf der Bühne der About-Pop-Konferenz in Stuttgart las Lady Bitch Ray letztes Wochenende aus ihrem Buch über Madonna (erschienen in der KIWI-Musikbibliothek-Reihe) – moderiert wird von Gräfin Kimsy von Reischach. Der Wizemann-Saal in Stuttgart ist dementsprechend voll, das Interesse groß – und gilt vornehmlich der Frage, ist Lady Bitch Ray wirklich so, wie man sie aus den Medien her kennt? Ist das überhaupt möglich?

Gerade erzählt sie von den Karnevalskostümen ihrer Jugend, erst sei sie Jahre einfach „als Schlampe“ gegangen, dann ein paar Sezessionen als Punker und schließlich als „Punkerschlampe“.

Die Antwort also lautet ja. Doktor Lady Bitch Ray zitiert „in echt“ dann doch nicht Rilke. Backstage bin ich dabei, wie sie sich in ein Gespräch über den Netflix-Hype „Squid Game“ einschaltet – und zwar mit den Worten „Ich fände ja Squirt-Games besser!“ Hilarious.

Wie übrigens das ganze About-Pop-Event, das von der schillernden Bitch-Ray-Lesung mit Kimsy-Mod natürlich nicht wirklich repräsentiert wird. Viel mehr gibt es Panels über Diversity, Nachhaltigkeit, Populismus, sowie ein Ausstellung des Fotografen Reiner Pfisterer („Die Rückkehr der Musik“) und Konzerte von u.a. dem aktuellen Stuttgart-Hingucker ZweiLaster.

Ein Duo und sogar noch die Zwei im Titel. Na, dann. Alles Gute!

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Grüße von Papa: Paulas Popwoche im Überblick

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