Popkolumne, Folge 138

Grüße von Papa: Paulas Popwoche im Überblick


Paula Irmschler über die geheime beste Kneipe im Norden, „The Billion Dollar Code“, „Schwarzes Herz“, Remi Wolf und Mr. Brightside.

Vergangene Woche war ich komplett on the road, beziehungsweise on rails (wegen Zug), weil ich auf Lesetour in Norddeutschland war. Heute hier, morgen dort, nie an einem Ort, immer die Alimente am Verschwitzen wie so ein DADDY. Dementsprechend habe ich nicht so viel Poppiges erlebt, es sei denn es gelten auch Alkopops, ahahahaha. Und schon sind wir bei dem Humor gelandet, den es jetzt braucht.

Ich war nämlich am schönsten Ort der Welt, der letzten noch richtigen Papakneipe. Ich sage jetzt nicht, wie sie heißt und auch nicht die genaue Stadt, denn so kann der Ort für uns alle sein: in unseren Herzen. Über der Theke steht „Koma-Eck“. Eine „Kiste Bex“ kostet 60 Euro. An der Wand hängen viele eingerahmte Bilder von Männern. Nicht von berühmten, sondern irgendwelchen Männern, die beim Besoffensein fotografiert wurden, Männer mit fertigem Blick, Schnurrbärten, Männer, die schon liegen, Männer mit Frisuren. Daneben Cartoons übers Trinken generell und Bier konkret. Zum Beispiel liegt ein Mann auf einem Tisch, darum leere Bierflaschen und der Mann sagt: „Mir geht’s gut“. An einer anderen Stelle hängen eingedrückte Kronkorken, Titel des Kunstwerks: „1 A Pils-Muscheln“. Der Rest der Wände ist plakatiert mit Konzertplakaten von ausschließlich Männerbands. Ach ja, und geöffnet ist: „theklich“ ab 15 Uhr.

Ich bin so glücklich in dieser Kneipe, es ist die beste Kneipe in der ich je war, ich lasse mich vollrauchen bis ich gar nichts mehr spüre, ich möchte für immer bleiben. Ich möchte hier leben, zocken, mit den Männern durch Platten stöbern, Therapien abwinken und über alles fachsimpeln, wovon wir keine Ahnung haben. Ich möchte verkrampft Witze machen und bei denen von den anderen auf meine Schenkel klopfen, ich möchte adoptiert werden, ich möchte dich wiedersehen, möchte, dass wir es hinbekommen. Bitte, liebe Kneipe, komm zu meinem Footballspiel am Sonntag, ich verzeihe dir.

“Hold that train
Until everybody is inside”

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Paar Bilder hier. Geht die Bildquali noch schlechter? Nein. Es liegt am kultigen Rauch.

Serie der Woche: „The Billion Dollar Code“ (Netflix)

Also, wie gesagt: Kaum was mitbekommen, aber am Wochenende vor der Tour noch Glotze geguckt und leicht widerwillig reingezappt in die vorgeschlagene Serie, sie wird bestimmt mal wieder nix sein, so wie so viele erfolgreiche Serien in der letzten Zeit, aber das Thema ist ja nicht uninteressant. Das Thema ist: Eine kleine Gruppe von Künstlern und Nerds hat in den 90ern in Berlin den Algorithmus erfunden, der dann von Google geklaut wurde, um Google Earth zu erfinden. Die Geschichte ist so halbwahr, es gab tatsächlich diese Leute und einen Patentstreit, aber ganz so klar wie sich der Fall in der Serie darstellt, ist er wohl nicht. Könnte aber sein! Es ist eine der zahlreichen Geschichten darüber, wie kleine Firmen von großen gefressen oder ausgenommen oder beklaut werden und die unbedingt erzählt werden müssen – und tatsächlich wird sie es hier sehr gut. Klar gibt es die Nerdklischees, klar sind „die Kleinen“ und „Großen“ allein optisch und im Gestus abgedroschen und klar aufgeteilt. ABER der Serie ist etwas gelungen, was bisher kaum einer deutschen Produktion der letzten Jahre gelungen ist: Die Schauspieler nerven nicht. Null! Die Besetzung der beiden Protagonisten ist unglaublich gut, und das auch noch doppelt (es gibt Carsten und Juri einmal als junge und einmal als ältere Erwachsene, gespielt werden sie von Mark Waschke, Mišel Matičević, Leonard Scheicher und Marius Ahrendt). Und dabei wird mir mit jeder der vier Folgen ganz egal, wie es nun wirklich „in echt“ war, „The Billion Dollar Code“ ist vor allem eine Geschichte über eine vielschichtige Freundschaft zwischen zwei emotionalen, liebevollen und neugierigen Männern. Solche Geschichten, solche Freundschaften, und vor allem solche Männerdarstellungen will ich bitte öfter sehen.

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Album der Woche: Remi Wolf – „Juno“

Oha, nach Billie Eilish hat eine neue junge Person hier ab sofort einen Stammplatz in der Kolumne. Ich habe letztens schon von Remi Wolf geschwärmt, die ich mindestens für eine neue Stilikone halte und die aber viel mehr noch übertrieben gute Hits abliefert. „Juno“ heißt jetzt ihr erstes Album und es ist wie zu erwarten komplett der Kracher. Die Songs sind eingängig, aber trotzdem einzigartig, wiedererkennbar. Es ist unrasierter Pop, Pop mit einem an der Waffel, Wackelpop. Und es ist natürlich TikTok-Pop, denn es war nicht unwesentlich die verdammte Plattform TikTok, die Remi Wolf groß machte, beziehungsweise die Möglichkeiten dort, die Rumexperimentiererei, das Bastelige, das On-Point-Seinmüssen, das alles Grundlage ihrer Ästhetik und der Songs ist. Deshalb ist sie dort schon der Megahit und bald auch in deinem Wohnzimmer und deinem auch.

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Buch der Woche: „Schwarzes Herz“ von Jasmina Kuhnke

Ich mache das selten und ungern, aber dieses Buch habe ich mir mal komplett als Hörbuch reingezogen. Normalerweise will ich mein eigenes Tempo, will zwischen den Seiten hin- und herfliegen, kann oft nicht so lange zuhören. Aber als das Buch an der Bahnhhofsbuchhandlung nicht zu bekommen war und ich nicht warten wollte, versuchte ich es mit „mal reinhören“. Und ich blieb dabei. Es ist großartig, Jasmina Kuhnke zuzuhören, sich diese Geschichte von ihr erzählen zu lassen, teilweise habe ich vergessen, dass es ein Hörbuch ist, es fühlte sich eher wie ein Telefongespräch an. Und manchmal musste ich sie auch unterbrechen, um etwas sacken zu lassen, um nachzudenken, um mir etwas zu notieren, einen Satz oder einen Gedanken.

Kuhnke, Comedy-Autorin, Twitterlegende und Heldin, hat die Geschichte einer Frau aufgeschrieben, die häusliche und gesellschaftliche Gewalt erlebt, die rassistischer und misogyner Natur sind. Eine Frau, die sich verloren hat und wiederfindet. Die das Wiederfinden vor allem durchs Schreiben schafft und die den schwierigen Weg geht, sich endlich selbst als wertvoll zu begreifen, als wertvoll genug zu leben, sichtbar zu sein und Raum einzunehmen. Es ist ein – Achtung, abgedroschener Begriff – wichtiges Buch und ich kann gar nicht ausdrücken, wie viel ich gelernt habe, wie oft geschluckt, wie oft ich eingreifen wollte und heulen. Vor allem merkt man aber auch, wie sehr sich die Erzählerin im Laufe des Buches erleichtert, einiges abschüttelt, immer stärker wird. Ich bin dankbar, dass ich das hören durfte, dass sie mir diese Geschichte erzählt hat, auch wenn es megapathetisch klingt. Jetzt gehe ich mir das Buch aber trotzdem nochmal kaufen und das solltet ihr auch, falls ihr die Moneten übrig habt. Aber hört ihr unbedingt auch zu:

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Lustigstes Internet der Woche

@t0zzzHope this guys doing ok♬ Mr. Brightside – The Killers

Oder

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Alles daran ist perfekt. Und wer sich nicht auch etwas ertappt fühlt, verleugnet die blinden Flecken, die man selbst oft genug hat, was Pophits angeht. Ich weiß zum Beispiel noch wie ich „Stairway To Heaven“ das erste Mal bewusst gehört habe und es ist weniger lang her als man glauben mag. Seitdem mag ich Pearl Jam ganz gern.

Die Gerhard Schröder des Pops: Warum Coldplay Musik für Menschen machen, die Musik hassen

Was bisher geschah? Hier alle Popkolumnentexte im Überblick.

Paula Irmschler
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