Primal Scream


Eine Frischzellenkur hat die Band aus Glasgow dem Rock'n'Roll verordnet. Nach Dancefloor, Hypno-Grooves und intensiven Recherchen haben Bobby Gillespie & Co. auf "Give Out But Don't Give Up" sich nun von Funk und Soul inspirieren lassen und mit Unterstützung illustrer Gäste erneut den grenzüberschreitenden Spagat versucht.

„Primal Scream sind die Retter des Rock’n‘ Roll“, sagt der Vorhang aus fettigen schwarzen Haaren, Immerhin – ein erster brauchbarer Satz, nach endlosen „maybes“, „dunnos“ und aufmunternden Aussagen wie „diese Tage sind dunkel“. Der Haar-Vorhang gehört zu Bobby Gillespie, dem 29-jährigen Sänger von Primal Scream, einer Band, deren aufregender Mix aus Rave und Dance und Psychedelic sie so antörnte, daß sie irgendwann spurlos von der Bildfläche verschwand. Bobby kommt aus Glasgow und will sein neuestes Werk vorstellen. Aber leider ist sein schottisches Zeitlupen-Gebrummel in etwa so gut zu verstehen wie jemand im Hotelzimmer nebenan. Die Tatsache, daß sein Oberkörper beim Sprechen unaufhörlich vor- und zurückschaukelt und er die dünnen Ärmchen um den Brustkorb preßt, als stecke er in einer Zwangsjacke, macht die deutsch-schottische Verständigung auch nicht einfacher. Sowas soll der neue Rock-Sexgott sein? Einer, von dem ein Groupie neulich behauptete: „Bobby schwitzt sogar sexy. Jedes Mädchen ist scharf auf ihn.“

Eigentlich habe er überhaupt keine Böcke, über die Songs des neuen Albums zu sprechen, meint dieser Bobby, weit von jedem Schweiß entfernt, „dieses Gequatsche macht die ganze Musik nur kaputt. Besser wär’s, du würdest dir das Album hundertmal anhören und dir dann eine Meinung bilden.“

Besagtes Album heißt „Give Out But Don’t Give Up“ und ist das erste Le-benszeichen nach dem famosen „Sreamadelica“-Urschrei, mit dem man 1991 zeigte, daß das sehr wohl geht: Dance-Music und Rock’n’Roll auf einen stilistischen Nenner zu bringen. „Give Out But…“ ist wieder so ein grenzüberschreitender Spagat: Die Gitarren röhren wie eh und je, aber anstelle von Dance und Rave gibt’s reichlich P-Funk und jede Menge Soul. Das Ergebnis erinnert bisweilen an James Brown und die Black Crowes, an Parliament und Lynyrd Skynyrd. Kein Wunder, an der Scheibe haben illustre Namen mitgearbeitet: produziert von Altmeister Tom Dowd, der schon bei Aretha Franklin, Otis Redding, Rod Stewart oder Eric Clapton die Regler schob; die Muscle Shoals Studiomusiker aus Memphis sind dabei, inklusive der Memphis Hörn Section, George Clinton, Who-Drummer Kenny Jones oder Stones-Pianist Jim Dickinson. Black Crowes Produzent George Drakoulis und Trance Pionier Reload machten auch mit. Alles geht „… solange es cool klingt.“ Memphis, die Stadt in der Primal Scream ihr Meisterwerk aufnahmen, habe eben ein ganz besonderes Flair: „Da spürst du sofort den Soul.“ Primal Scream 1994 klingen so, wie die Stones nun schon seit 1970 immer wieder klingen wollen. Die neue Primal Scream sei so wichtig wie etwa „Beggar’s Banquet“ für die Stones oder das „Weiße Album“ für die Beatles. Im heimischen Großbritannien hält sich hartnäckig das Gerücht, daß Primal Scream nicht nur die Retter des Rock’n‘ Roll sein wollen, sondern in Wirklichkeit ihrer Plattenfirma Creation mit dem Allstar-Album das kommerzielle Überleben garantieren sollen. Deshalb habe die Band eine kommerzielle Ecke draufgelegt. Als Dankeschön sozusagen. „Nöööhh“, murmelt Gillespie. Und beläßt es dabei. Bleiche Finger vergrößern ein Loch in seinem dunkelblauen Strickpulli, den selbst die Bosnien-Hilfe energisch ablehnen würde. Witzig, der schottische Strich in der Landschaft verwandelt sich nur auf der Bühne oder vor der Kamera – in einen echten Rockstar. Dann wird er zum fetzigen Alleinunterhalter. Abseits der Öffentlichkeit verkriecht er sich hinter allem, was nicht festgenagelt ist. Jekyll und Hyde vollgeknallt?

„Ich muß nur ’ne elektrische Gitarre hören und schon bin ich total hypnotisiert. Das ist die beste Droge überhaupt!“

Davon scheint’s im Umkreis von Primal Scream genug zu geben. Was hat ihr Rock’n’Roll denn nun mit Drogen zu tun? „I ain’t saying nothing about no drugs.“ Nun auf einmal. „Hör dir die Texte auf dem Album an, die erzählen dir alles, was du über uns hören willst.“

Sind seine Songs autobiographisch? Warum schreibt er solch eine Musik überhaupt? „Ich schreibe von innen heraus. Ich bin oft einsam, fühle Schmerz, bin verzweifelt. Aber ich habe etwas in mir, das kämpft, wenn es schlimm wird.“ Es wird noch besser: „Ich weine oft. Wenn ich zum Beispiel Gram Parsons ‚Wild Horses‘ höre, kommen mir die Tränen. Musik hilft mir über den Schmerz hinweg.“ Schön. Ein sensibler Rockstar. Cool. Vielleicht stehen die Frauen deshalb auf ihn. Fragen Sie doch seine 19jährige Freundin Emily…