1968. Die Revolte :: Ob’s der Wahrheitsfindung dient?

Lustig, wie lange ein Jahr dauern und nachwirken kann: „1968“ begann, das ist ziemlich unstrittig, mit den Schwabinger Krawallen im Juni 1962 und endete … offenbar nie. Oder, nach Ansicht der Herausgeber, mit Gründung der Grünen im Januar 1980 (was eine geradezu lachhaft ironische Wendung wäre). Dazwischen passierte vieles, wovon (egal wie wichtig es war, von der Subversiven Aktion über die Gruppe SPUR bis zum DDE-Punk) das meiste vergessen ist und ein paar markante, TV- und buchmäßig super vermarktbare Detailikonen jubeijährlich bis täglich durch den Medienwolf gedreht werden, bis nur noch ein Haufen Slogans, Klischees und Phrasen übrig bleibt. Paradebeispiel für diese Form der Verwurstung/Kastration/Entpolitisierung historischer Vorgänge und Zusammenhänge ist das Vorwort dieser Aufsatzsammlung: Es wirkt wie eine gewollte Selbstparodie, wenn Cohn-Bendit und Dammann Benno Ohnesorg, Stones, Vietnamkrieg und Rudi-Dutschke-Straße in einen ansonsten leeren Topf werfen, vier Tüten Dummdeutsch dazu, dreimal umrühren und so zu der Erkenntnis kommen, „die meisten derer, die ihrem Unbehagen dann auch einen lebendigen Ausdruck gaben“, hätten sich „zunächst noch mit Sex, Drugs and Rock’n ‚Roll begnügt“ – als hätte es Lettristen/Situationisten, Antiatomkampagnen der 50er, Martin Luther King und die Kämpfe gegen die Apartheid in den USA nie gegeben und die Politisierung junger Leute erst mit Fritz Teufels Antwort auf die gerichtliche Anordnung, sich zu erheben („Wenn’s der Wahrheitsfindung dient“), begonnen. Wer solchen Unfug verzapft, von dem erwartet man nicht viel Ahnung bei der Auswahl der Beiträge; und in der Tat: Da ist manches zum Haare raufen (etwa Reinhard Mohrs Beitrag, der den Weg in den Terrorismus nachkolportiert, ohne die gezielte Anstachelung und Versorgung mit Waffen durch V-Leute auch nur zu erwähnen). Andererseits ist die fundierte(re) Auseinandersetzung mit „1968“ oft unzugänglich bzw. theorielastig und manches in diesem Buch auch auf weit höherem Niveau angesiedelt und durchaus lesenswert. Wenn denn also ein Jubiläumsaufwärmen sein muss (was immerhin den erfreulichen Nebeneffekt haben könnte, dass man sich mit manchen Dingen überhaupt mal wieder beschäftigt), taugt es immerhin als Einstieg für Schimmerlose und zum Interessewecken (leider ohne Hinweis auf weiterführende bzw. grundlegende Literatur).

www.media68.net/germania/core.htm