1975 Vitesse (Reprise 54058 STREET Aveslnt. 146. 506 SHPRITSZ Aveslnt. 146.503 CHA CHA Aveslnt. 146.507 Herman Brood & His Wild Romance
Jetzt fehlt nur noch, daß Phonogram auf einen Schlag alle LPs von Cuby & The Blizzards wiederveröffentlicht, auf denen Herman Brood Piano gespielt hat. Was marktstrategisch genauso ungeschickt wäre wie der vorhandene Fall, daß die Intercord zeitgleich auf die drei während der beiden vergangenen Jahre entstandenen Alben von Herman Broods Wild Romance setzt und die WEA ein vier Jahre altes Album von Vitesse mit Herman Brood veröffentlicht, womit letztere Firma gleich noch am aktuellen, von der EMI betriebenen Aufstieg des Quartetts Vitesse (siehe ME 3/79) teilhat. Und die dicken Brood-Krumen, die schon den Journalisten geballt überrollen — wie sollen die überhaupt den Leser/Interessenten erreichen? Oder glaubt die Industrie etwa, der holländische Boom um Herman Brood reiche aus, daß die Käufer ohne Zögern sofort für alle vier LPs ihr Geld ausklinken?
Da helfen auch keine Hofberichterstattungen, die Herman Broods scheinbare Vorliebe für kleine Teenies, seine private Groupie-Hitparade und seine Drogenabhängigkeit (die er wohl inzwischen überwunden hat) als beinah ertrebenswert erscheinen lassen und in der Feststellung gipfeln, hier liege quasi der Schlüssel zum wahren Rock’n’Roll-Feeling. It’s nice to be kaputt?? Und auch das WEA-Info („Herman Brood…. ist… auch über Hollands Grenzen hinaus zumindest sehr bekannt“) verwischt, wo es aufklären könnte: Für hiesige Verhältnisse ist Herman Brood, einige Insider beiseite, unbekannt, absolut neu — und interessant.
Den besten Einstieg zu Broods Ambitionen bekommt man tatsächlich über eine alte Cuby & The Blizzards-Platte: Der beste Blues, der seinerzeit in Kontinentaleuropa gespielt wurde. Dieser Hang zur schwarzen Musik hat Brood mit der Zeit, in Verbund mit wechselnden Kollegen, ebenso verändert wie auch auf aktuelle Strömungen gebracht. Zeichen dessen ist „1975“ mit Vitesse, die anscheinend mit Absicht in relativ schlechter, „schmutziger“ Wiedergabequalität abgemixt wurde. Gleich im ersten Song verkündet die Band die Marschrichtung: „Funky But Clean“ — erdig, unverfälscht, aber eben doch von Weißen gespielt und daher ein bißchen zu sauber/steril. Womit Brood & Vitesse ein Eingeständnis abgeben, das sie nicht nötig haben: ,,1975″ verbindet echte Funky-Tanznummern, Rock’n’Roll und den Jazz-Blues von Mose Allison (von dem drei Songs stammen) in bislang kaum gehörter Manier. Schon 1975, als Philly-Soul den wahren Funk längst zum Teufel gejagt hatte, dürfte diese LP unzeitgemäß gewirkt haben — zumindest im Ohr des normalen Konsumenten. Doch wer George Thorogood mag oder alte Hämmer wie die Remo Four oder Them, der sollte mal auf „1975“ achten.
Die drei Brood-Platten mit Wild Romance stehen erheblich stärker unter Rock’n’Roll-Zeichen, doch stets mit merklichem Blick zum Rhythm & Blues, und ihre größte Stärke ist wohl die Echtheit, mit der hier Schwarzes von Weißen dargeboten wird.
Die drei LPs „Street“ (1977), „SHPRITSZ“ (1978) und „CHA CHA“ (auch 1978) nun besonders auseinanderzufasern, wäre kaum sinnvoll. Die Unterschiede sind nur graduell, eine spezielle Entwicklung zeichnet sich nicht ab. Auf allen dominiert R & B von enormer Vitalität, und wenn Brood und Kollegen mal Reggaehaftes bringen, so wirkt dies wie ein kurzer Schlenker im Sinne von „Seht, das können wir sowieso auch“. Als grobe Hilfestellung könnte man dies anbieten: „SHPRITSZ“ ermöglicht den leichtesten Einstieg, ist zugleich aber die konventionellste LP. „Street“ wirkt uriger, roher und eher im Sinne von „1975“. „Cha Cha“ schließlich, die aktuelle Platte, wurde live aufgenommen und bietet dermaßen Volldampf, daß beim Hörer tatsächlich geistige und körperliche Fitness vonnöten ist, um das unter möglichst hoher Lautstärke in einem Zug durchzuhalten. Der Baßsound klingt wunderbar, zeitweise bläst irgendjemand ein atemberaubendes Saxophon, und insgesamt scheint mir „Cha Cha“ die empfehlenswerteste LP von allen zu sein, die den Titel „Live“ wahrlich verdient. 4 (1975) 3 (Street & SHPRITSZ) 5 (ChaCha)
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