Morr/Indigo

Ein weitgehend sanftes, indietronisches Meisterwerk über all das, was die Zeit mit uns so macht (bzw. wir mit ihr machen).

In einer seiner letzten „Zeit Magazin“-Kolumnen kam Harald Martenstein auch mal wieder auf seine Arbeit zu sprechen. Wenn die Zeit reif ist, eine neue Kolumne zu verfassen, geht Martenstein sofort die Küche putzen. Wie wir das ja alle machen, nicht etwa, weil Küche putzen das Hobby der Mehrheit der Deutschen ist, sondern weil Küche putzen der umstandsloseste Weg ist, die Arbeit zu verschieben, ohne sich dabei immens zu verausgaben. Auf morgen erst einmal. Und weil es inzwischen einen modischen Fachbegriff für die „Vermorgung“ aller lästigen Dinge gibt, kann man sich prima über sich selbst lustig machen. Ja, auch ich bin ein Opfer der Prokrastination. „Today we say, tomorrow we should, tomorrow sounds great“, singt B. Fleischmann einmal auf diesem Album, und dass der Instrumentalmeister aus Österreich hier erstmals am Mikrofon auftaucht, ist wahrscheinlich auch nur dem Drang, alles zu verschieben, geschuldet. Hätte er schon früher machen sollen. „Tomorrow we should“ könnte auch einen prima Leitsatz für I’m Not Ready For The Grave Yet abgeben. Ein Werk über die Zeit, und was sie so alles mit einem machen kann, transferiert in ein Set von Songs, die von seltsam Beck’schen Blues-Tracks („Beat Us“) bis hin zu jenem weichen elektronischen Flirren („Don’t Follow“) reichen, für das der Komponist verdientermaßen eine internationale Fangemeinde gewonnen hat. Die Musik zwitschert uns kleine Hinweise zu, die jeder für sich übersetzen darf: „Who Emptied The River“, fragt Fleischmann im offensiv indietronischen fünften Track, was passiert eigentlich, wenn ich aus dem Fluss der Dinge aussteige? So lassen wir uns liebend gerne von den meistens sanften Wellen der Kontemplation einhüllen und summen sie heimlich mit, die Melodien, die wir gar nicht auf morgen verschieben müssen, weil sie uns so wunderbar von der Arbeit abhalten.

Key Tracks: „Don’t Follow“, „Tomorrow“