Babyshambles

Sequel To The Prequel

Parlaphone/Warner

Totgesagte leben länger. Oder: Die wundersame Genesung des Patienten Indie-Pop am Beispiel des dritten Babyshambles-Albums.

Die gute Nachricht im Zusammenhang mit SEQUEL TO THE PREQUEL: Es gab keine Nachrichten über Pete Doherty im Vorfeld. Und dieses Vorfeld, also die Zeit zwischen der Ankündigung des dritten Babyshambles-Albums und seiner Veröffentlichung, war denkbar kurz. Keine Meldungen über Einbrüche, Diebstähle, Drogen- und Alkoholexzesse, Gerichtsprozesse, verpasste und verpatzte Auftritte, keine Skandälchen, keine Bilder aus Blut, keine Fotos von koksenden Model-Freundinnen aus dem Aufnahmestudio. Um Pete Doherty ist es ziemlich ruhig gewesen in den vergangenen Jahren. Zumindest in den Medien, die gerne und viel über die öffentliche Person Doherty berichten und selten über seine Musik. Also diesmal kein Absuchen der Texte mit der Lupe nach autobiografischen Bezügen, um sie mit aktuellen Meldungen aus der Yellow Press abzugleichen.

Sieben Jahre nach dem letzten Babyshambles-Album SHOTTER’S NATION und vier Jahre nach Dohertys Solo-Album GRACE/WASTELAND werden wir wieder einmal an eine eigentliche Selbstverständlichkeit erinnert: Der sogenannte Britpop ist schon lange den Händen der „ Class of 1992“ entrissen worden und wird auf ganz anderen Feldern verhandelt. Nach DOWN IN ALBION (2005), das von Mick Jones produziert wurde, saß Stephen Street zum zweiten Mal nach SHOTTER’S NATION (2007) am Produzentenpult. So viel vorab: Jeder einzelne Song auf SEQUEL TO THE PREQUEL wäre der einsame Höhepunkt auf den Alben Nummer zwei, drei und vier der anderen Überlebenden „Stars of 2005“. Man kann auch sagen, wer Doherty und sein Songwriting nicht erst nimmt, der sollte sein Verhältnis zur Popmusik grundsätzlich infrage stellen.

Stephen Street schafft es, die Babyshambles sanft zu domestizieren, ohne dass dabei ihr brüchiger Charme verloren ginge. SEQUEL TO THE PREQUEL oszilliert zwischen dem Chaos des Debüts und der verhältnismäßigen Elabo­ration des zweiten Albums. Das krachende „Fireman“ scheint eine letzte Reminiszenz an die frühen Tage der Band zu sein. Und schon mit Song 2, der Single „Nothing Comes To Nothing“, ordnet sich das Chaos wie von selbst, und es tritt einer jener unwiderstehlichen Popsongs zutage, deren Urheberschaft sehr zu Recht überwiegend Musikern aus Großbritannien zugeschrieben wird. Pete Doherty, dessen offensiver Lebensstil, durch den wahrscheinlich seine Kunst erst ermöglicht wird, bei kritischen Zeitgenossen aggressive Reaktionen und Hassgefühle evoziert, hält sich an Oscar Wilde: „Talent borrows, genius steals“ , hat der Dichter einmal gesagt. Genie Doherty klaut vorzugsweise bei sich selbst, gerne aber auch bei anderen. Der Country-Shuffle „ Fall From Grace“ bedient sich bei „There She Goes“ von SHOTTER’S NATION, „Maybeline“ beleiht das Eröffnungsriff von „Fuck Forever“. Der dubbige Ska-Schleicher „Dr. No“ könnte auch von The Clash stammen. Die Ballade „Penguins“ kommt seltsam zerbrechlich daher. „ Picture Me In A Hospital“ shambelt wie ein verlorener Libertines-Song.

SEQUEL TO THE PREQUEL ist eine Wundertüte aus den unterschiedlichsten Stilen und Arrangements, die unter der Katalyse Dohertys erst zu diesem homogenen Popkunstwerk verschmelzen kann. Und zum Schluss dann noch eine hübsche Überraschung: „Minefield“, das nicht nur wegen der Gitarrenstimmung, auch wegen der giftigen, splitternden Soli und wegen des schrägen Chorgesangs an Neil Young & Crazy Horse erinnert. Ein Epos, eine Urgewalt – danach kann nichts mehr kommen.