Nie war er sanfter: Der Singer/Songwriter baut seine sternenklaren Lieder um psychogeografische Erkundungen in seinen eigenen Traumwelten.

Irgendjemand hat zuletzt mal nachgeschaut und beinahe bestürzt festgestellt, dass Bill Callahan sein erstes Album unter dem Namen Smog auch schon vor über 20 Jahren aufgenommen hat. Wie viele Leben haben eigentlich unsere Indie-Darlings? Weit mehr, als das Gewusel im Underground, das in Momentaufnahmen von Zerstörung und Hinterfragung in den Ruinen einer Gitarrenkultur begann, uns einmal versprach. Was in den frühen 1990ern als zerdellte Homerecording-Session unter dem Logo Smog das Licht der Welt erblickte, verdeckte noch die stimmlichen Möglichkeiten und Songwriting-Qualitäten dieses Maryland- Boys, der seine Zelte längst in Texas aufgeschlagen und die Songs dieses neuen Albums in den Cacophony Studios in Austin aufgezeichnet hat. Seit Bill Callahan aber „nur“ noch als Bill Callahan unterwegs ist, darf die gedehnt sonore Stimme des Amerikaners in dem ihr eigenen seidenmatten Glanz erstrahlen, sie zählt zu den Attraktionen des Indie-Rock-Betriebs und inzwischen auch darüber hinaus. Bill Callahan steht mit dieser Geschichte neben Will Oldham allein auf weiter Flur. Und, wenn das auch fünf Euro fürs Phrasenschwein kostet, auf Callahan ist Verlass. Er bringt eine außerordentlich schöne Platte nach der anderen raus, kleinere Veränderungen von Produktion zu Produktion inklusive.

Mit DREAM RIVER nimmt Callahan den Faden früherer Lieder wieder auf und baut seine sternenklaren Songs um die psychogeografischen Erkundungen in seinen Traumwelten, halb humorig, halb bitter, oft dunkel, mysteriös. Das ist im Ansatz Naturlyrik, diesmal wie auf einer sanften Brise dahinsegelnd, hin und wieder im warmen, mit Streichern und Keyboards ausgestatteten Soul-Bett anlandend. In den Federn der Wellness versinkt Callahan auf DREAM RIVER aber nicht, der Verweis auf Marvin Gaye in den Lyrics des Eröffnungstracks „The Sing“ bringt sogleich den Tod ins Spiel: „I’ve got limitations like Marvin Gaye. Mortal joy is that way.“ Dann lässt er die Ruhe der Sterblichen einkehren. Das sind dann Sätze, die in einer Novelle stehen könnten. Man muss den Ich-Erzähler aber nicht mit dem Songautor gleichsetzen, der seine Kunstfiguren als Beobachter in stiller Klausur entwickelt, wie der Vogelbeobachter Jonathan Franzen das für seine amerikanischen Kunstfamilien tut. Ein Zugang zum Künstler Bill Callahan lässt sich auch über die 7-Inch finden, die noch vor dem Album auf dem Label Drag City veröffentlicht wurde, sie enthält – Achtung: Weltneuheit! – Bill Callahan in Dub. Zwei Album-Tracks („Javelin Unlanding“ und „Winter Road“), in denen der Raum rechts und links der Traumlinie für Echos freigeschaufelt wird.

Relaxt klingen Bill Callahans neue Lieder aber auch schon im handelsüblichen Singer/Songwriter-Format auf dem Album. Die bisweilen noch kratzigen Gitarren auf dem Vorgänger APOCALYPSE (2010) haben hier befriedeten Saitenmalereien Platz machen müssen, Fiedel und Flöte ziehen entspannte Kreise in den akustischen Flugübungen des Songwriters, Congas legen minimale Spuren in den Funk. Und wenn die Gitarren noch einmal aufbrausen dürfen, wie das in „Ride My Arrow“ und „Summer Painter“ passiert, dann geschieht das in sicherer Distanz zum Song, eingehüllt in eine Wolke, aufgezeichnet in einem Hallraum, der dann wieder auf den Dub verweist.

DREAM RIVER ist Bill Callahans Gilberto-Gil-Album geworden, man könnte eine Bossa-Nova-Platte daraus machen, wenn man denn wollte. Aber will man das wirklich?