Boards Of Canada – Geogaddi

Schade eigentlich, dass es kein akustisches Äquivalent für „Liebe auf den ersten Blick“ gibt. Liebe auf den ersten Horch? Jedenfalls war es schon ein erstaunlicher Effekt, den das Debüt der beiden Schotten auf jene hatte, die ihm erlegen sind, vor vier Jahrhunderten, vor vier Jahren also nach allgemein üblicher Zeitrechnung auf dem übervölkerten Planeten elektronischer Musik. MUSIC HAS THE RIGHT TO CHILDREN nannten Marcus Eoin und Michael Sandison ihre Sammlung ungekannt warmer, halb elektronischer Stücke. Kein House, kein Drum n‘ Bass war das, sondern „Electronic Listening“, wie die medialen Schubladenfinder flink erkannten. Hörbar also, ohne dazu tanzen zu müssen. Kinderstimmen, Kinderlieder waren das, die mal schemenhaft hinter ein krudes Gatter aus schmatzenden Beats gesperrt waren, mal frei fließend ihre seltsame Pracht entfalten konnten. Traumhübsch war das und sehr ergreifend, weil diese badewasserwarmen Melodien und naiven Stimmen eine Authentizität und epische Tiefe suggerierten, die der Automatenmusik bisher verwehrt schien. Erlegen ist der elegischen Elektronik damals auch Thom Yorke von Radiohead, der Boards Of Canada zu den wichtigsten Einflüssen für KID A und AMNESIAC zählte. Bei John Peel stellten sie im Radio ihr Material vor, und selbst der verwöhnte Kenner frohlockte: „Exzellent!“ Warum hier so ausdauernd von vergangenem die Rede ist? Weil GEOGADDI dem phänomenalen Debüt in nichts nachsteht, es aber auch leider nicht übertrifft. Warum das ein Maßstab sein soll? Weil Eoin und Sandison aus der Kenntnis über ihre eigene Wirkung keinen Hehl machen. Und weil es deshalb nur fair ist, das Neue mit der Vortage zu vergleichen. Und da sind nun mal vier lange Jahre ins Land gegangen, in denen sich soundtechnisch allzu wenig entwickelt hat. Ein Aphex Twin hat zuletzt ein ähnliches Problem mit intimer Verschränkung von verhaltener Stille und gefälligem Lärm zu lösen versucht – Boards Of Canada dagegen gefallen sich selbst viel zu sehr, als dass sie hier überhaupt ein Problem erkennen würden. Glauben wir dem Waschzettel der Plattenfirma, dann haben sie inzwischen 90 Songs zur Serienreife gebracht. 23 davon finden sich auf GEOGADDI, und 15 davon wären verzichtbar gewesen. Wer weß, vielleicht auch nicht: Mit knapp 65 Minuten Laufzeit bietet dieses Album all denen ein paradiesisches Ruhekissen, die eine Pille zu viel geschluckt haben. Allen anderen dürfte das schlierige Geflirre einen Gang zu esoterisch, zu willkürlich, zu psychedelisch sein. MUSIC HAS THE RIGHT TO CHILDREN war eine sinnliche Revolution, GEOGADDI ist deren ideologisches Manifest. Stillstand, wenn auch auf höchstem Niveau, nichtsdestotrotz. Chapeau!