Bob Marley & The Wailers – Kaya

Seit gut einem Jahr, seit jenem Attentat, bei dem er nur um Haaresbreite dem Tode entging, lebt Bob Marley nicht mehr auf Jamaika, sondern in London. Die Folgen sind unüberhörbar: Noch nie zuvor hat er selbst oder sonst jemand eine so gelungene Synthese von Reggae und Rock geschaffen. Die musikalische Öffnung zum anglo-amerikanischen Rock hatte sich schon auf den Alben „Rastaman Vibration“ und „Exodus“ angedeutet; dennoch überrascht die Konsequenz, mit der sich Marley und die Wailers nun vom traditionellen Roots-Reggae entfernen.

Zwar spielen die hypnotischen, packenden Reggae-Rhytmen auf Kaya noch immer eine Hauptrolle, stößt man nach wie vor auf die Energie, Durchschlagskraft und Spielfreude, die typisch ist für die Klänge, deren Wurzeln im Getto Trenchtown der jamaikanischen Hauptstadt Kingston liegen. Die Arrangements für die Melodieinstrumente indes erreichen die Vielfalt und Farbigkeit großer Rockproduktionen und sorgen für einen Sound, der in unseren Ohren doch sehr vertraut klingt. Bob Marley hat sich in seinem britischen Exil gut umgesehen und seine Begleiter, sofern sie nicht ohnehin in London wohnen, inspiriert. Und so treffen wir zum Beispiel plötzlich auf jazzige Bläsersätze, heiße Gitarrenspots oder Orgeleinschübe, die an die Frühzeit des Beat erinnern. Auffallend ist zudem der starke Hang zum Rhythm & Blues; der letzte Titel des Albums etwa könnte glatt von Clapton stammen.

Die Wailers haben bei alledem nichts von ihrer Fähigkeit eingebüßt, äußerst ökonomisch zu spielen, ihre Kreativität zu knappen, prägnanten Formeln zu bündeln und durchweg gängige Songs in die Welt zu setzten. Und auch wenn Bob Marley mit seiner Kopf und Körper erregenden Stimme fern der Heimat weniger von Politik und mehr von Liebe singt, enthält seine Musik noch immer die große gesellschaftspolitische Alternative – einfach, weil sie so warm und menschlich wirkt.