BUCH

ÜBER BRUCE SPRINGSTEEN

von David Remnick

Ein Buch voll glänzendem Journalismus: Der „New Yorker“-Chef porträtiert den Boss.

Auch in den USA wird über die Zukunft des Journalismus diskutiert. Was heißt auch -noch viel mehr als hier, weil das Zeitungssterben dort schon weiter fortgeschritten ist. Aber so wie es in Deutschland Ausnahmen wie die „Zeit“ gibt, die dem Auflagenschwund trotzen, so entwickelt sich in den USA auch dem „New Yorker“ gut. Zuwächse gibt es nicht nur in der Digitalversion, sondern auch im Kioskverkauf des Wochenheftes.

Dessen spezielle Mischung aus Cartoons, Meinungsartikeln, Veranstaltungshinweisen für die Stadt New York, literarischen Kurzgeschichten und langen Reportagen und Porträts verantwortet schon seit 1998 David Remnick. Dabei findet der Chefredakteur gelegentlich Zeit, auch selbst im großen Stil schreiberisch tätig zu werden. Auf Deutsch erschienen bisher seine Bücher über Muhammad Ali und Barack Obama – nun also eines über Bruce Springsteen.

Der Text ist ursprünglich im „New Yorker“ erschienen – so viel Platz räumen die da manchmal frei! Auch als 80-seitiges Buch merkt man ihm seine Herkunft als journalistischer Text durchaus an, in seiner dichten Sprache, mit seinen vielen Stimmen (Remnick sprach mit Bandmitgliedern, alten Weggefährten und Springsteen selber, reiste dafür zu Proben und zu Konzerten in Europa). Es kommt der Essenz des „Boss“ vielleicht sogar näher in dieser Kürze als die auch in diesem Jahr in Deutschland erschienene autorisierte Springsteen-Biografie von Peter Ames Carlin.

Remnick erlebt den bewunderten Springsteen als sehr kontrollierten Boss (von angestellten Musikern), aber er öffnet sich ihm auch, spricht von Depressionen. Den schönsten Satz des Buchs steuert allerdings Little Steven, der treue Gitarrist, bei, es geht darum, wie Springsteen vom Publikum gefeiert wird: Van Zandt: „Messianisch? Ist das das Wort, das Sie suchen?“

****1/2 Felix Bayer

BEDSIT DISCO QUEEN

von Tracey Thorn

Toll geschriebene Erinnerungen der weiblichen Hälfte von Everything But The Girl

„How I grew up and tried to be a Popstar“ – so lautet der Untertitel dieser (bisher nur auf Englisch erschienenen) Memoiren von Tracey Thorn. Darin steckt schon viel von dem Ton, der dieses Buch so besonders liebenswert macht: Selbstironisch, aber ihre eigenen Vorstellungen ernst nehmend, auch wenn sich diese in den letzten 30 Jahren gewandelt haben mögen, beschreibt sie ihren ganz speziellen Weg am Rande des großen Pop-Rampenlichts. Er begann bei der einflussreichen Mädchenband Marine Girls, brachte ein wenig bekanntes, aber tolles frühes Solo-Album hervor und dann die Partnerschaft mit Ben Watt, im Leben (bis heute) und in der Musik. Als Everything But The Girl hielten sie intern immer die Post-Punk-Werte ihrer Jugend hoch, auch wenn sie ihre Musik in Genres wie „New Jazz“ oder „New Adult Contemporary“ einsortiert fanden. Tracey Thorn erzählt mit viel Witz und ohne Larmoyanz, wie der Hit nie kam, wenn man ihn gebraucht hätte – und dann doch, in Form von „Missing“ im Todd-Terry-Remix, als die Plattenfirma gerade die Geduld verloren hatte. Ein Manifest der Gelassenheit von einer zurückhaltend selbstbewussten Frau.

**** Felix Bayer

UNSER VERHÄLTNIS VERHÄLT SICH VERHALTEN

von Bente Varlemann

Erstes Buch von der Hamburger Lesebühnen-Heldin

Die Erzählerin sieht beim Einkaufen einen schönen Mann und gerät ins Träumen: „Unser erstes Kind würden der Aldi-Mann und ich ( ) Medion nennen. Medion wie die Aldi-Marke, deren Geräte in allen Computer-Zeitschriften als Topprodukte bewertet werden – unser Kind wäre natürlich auch ein solches Topprodukt.“ An dieser Stelle kann man Einiges erkennen, was an den Geschichten gut ist, die Bente Varlemann erzählt: Sie ist sehr nah dran am Alltag, den sie sehr genau beobachtet, den Alltag einer Twentysomething-Studentin im heutigen Hamburg; in diese Beobachtungen rutschen aber immer wieder überraschende und hübsche Einfälle. Doch die Geschichten sind sehr oft allzu arg auf die Pointe hin geschrieben, was bei den Poetry Slams, die Varlemann bestritten hat, nützlich gewesen sein dürfte, beim Selberlesen aber etwas angestrengt wirkt. Dass sie auch anders kann, zeigt die Autorin bei einem zugleich sehr nüchternen und doch vielleicht gerade deshalb anrührenden Kapitel über den abgehauenen Vater. Man kann sich also freuen auf ein späteres Buch, das eventuell ein bisschen weiter weg von Bentes Leben seine Themen findet.

*** Felix Bayer

EMOTIONALE VASELINE

von Steve Blame

Der TV-Veteran und die Feelings: eine passionierte, aber etwas zähe Angelegenheit

Eine leicht gefühlige Schlagseite war schon im letzten Steve-Blame-Buch „Getting Lost Is Part Of The Story“ erkennbar. So überrascht es nicht, dass der Nachfolger die Parameter noch einmal verschiebt. Blame, einst erst MTV-Journalist in Großbritannien und dann eher unglücklicher Chef des Musiksenders VIVA, schraubt in „Emotionale Vaseline“ an der Theorie, dass Pop und die Verbindung des Menschen dazu ihre Ursprünge irgendwo im Vergangenen haben. Das diskutiert er in einem langen, langen Gespräch (es gibt Steaks, Fritten und viele verschiedene Getränke) mit zwei Freunden und verweist dabei immer wieder auf seine eigene Biografie, sein Verhältnis zu Pop, aber vor allem große Stars, die er im Laufe der Jahre traf. Elton John etwa, Dave Gahan, Tina Turner oder Stevie Wonder. Diese Schlaglichter auf große Interviewmomente machen das Buch kurzweilig spannend und durchaus auch witzig, wenn Blame etwa erzählt, wie er vor einem Elton-John-Interview dessen 70er-Bühnengarderoben anprobierte und vom Star dabei überrascht wurde. Der diskursive Teil hingegen hätte sich kürzer besser gemacht.

*** Jochen Overbeck

AAARFZ

von Markus Herrmann

Eigensinnig schillernder Debütroman aus der Hauptstadt

Man freut sich ein paar Mal, wenn man „Aaarfz“ liest, und das ist doch ein gutes Zeichen. Zum Beispiel freut man sich, dass der Protagonist auf einer Party ein durch und durch sympathisches Mädchen kennenlernt, mit dem er zum Italiener, ins Planetarium und schließlich, was ihn selbst zu verwundern scheint, ins Bett geht. Man freut sich, wenn er in der ostdeutschen Provinz auf Elternbesuch ist und von der Busfahrerjacke des Vaters erzählt, die seit dessen Frühverrentung am Haken hängt. Und man freut sich, dass er es mit dem Sport ernsthaft versucht. Die eigentliche Handlung gerät da ein bisschen in den Hintergrund, was aber nicht so schlimm ist, da man sie rasch versteht: Junger Mann. Popjournalist, was aber nicht weiter ausgeführt wird, sieht man von zwei Springsteen-Referenzen ab. Slackt so ein bisschen rum und sucht deshalb ein Lebensziel, das er rasch findet: Er will ins Weltall beziehungsweise auf den Mond fliegen und bereitet sich darauf vor, indem er ins Aquarium geht und Fachliteratur bei Amazon bestellt. All das schildert der Berliner Autor Markus Herrmann so vergnüglich und mit so viel Eigensinn, dass man als Leser gerne mitgeht. Bitte bald nachlegen, ja?

****1/2 Jochen Overbeck