Crash
Daß der Verkehr Gefahren birgt – sowohl auf der Straße als auch beim Austausch von Körpersäften – ist keine bahnbrechend neue Erkenntnis. Wenn sich jedoch ein Regisseur wie David Cronenberg (‚Die Fliege‘, ‚Die Unzertrennlichen‘) des riskanten Lebens ohne Gurt oder Gummi annimmt, darf man getrost mit einem verstörenden Einblick in seelische Abgründe rechnen. Denn Cronenberg setzte nie auf sensationsheischende Schocks oder explosive Action-Ejakulationen. Sein Horror hat klinische Kälte, sein Blick seziert die Leinwand-Patienten, sein Ansatz ist wissenschatlich. Und in CRASH treibt er die erbarmungslose Analyse der Spezies Mensch auf die Spitze. Der apathische Filmpoduzent Ballard (James Spader), seine eisig schöne Frau Catherine (Deborah Unger), der irrlichternde Forscher Vaughan (Elias Koteas), die beiderseits der zarten Haut verletzte Ärztin Helen (Holly Hunter) – sie alle jagen in CRASH einem körperlichen High hinterher, weil ihre Gefühle kaum mehr ausreichen, um Endorphine oder Adrenalin sprießen zu lassen. Erst als sie Autounfälle als Lustquell entdecken, erwachen ihre Lebensgeister aufs Neue. Sollen sich andere gelangweilte Zeitgenossen in den 90ern doch piercen oder per S/M-Mätzchen ihr Blut in Wallung bringen – die Protagonisten in CRASH kommen erst zum Höhepunkt, wenn ihre Vehikel ineinander krachen, wenn sich gefräßiges Metall in williges Fleisch bohrt. Sehr viel radikaler kann man das entfremdete Verhältnis des einsamen Großstädters zur Technologie und sein stumpfes Maschinen-Dasein nicht mehr beschreiben. Und wenn es am Ende den Sportwagen aus der Kurve trägt, ist der nahende Tod der ultimative Kick. Für gepflegte Unterhaltung mögen andere sorgen. Cronenberg liefert faszinierende mind-fucks. In seiner kongenialen Adaption des Romans von James G. Baltard sorgt der stilistisch ungeheuer strenge Erzählton ganz bewußt für eine beinahe publikumsfeindliche Atmosphäre. Die Auseinandersetzung mit dem Stoff soll intellektuell statt visuell stattfinden, fordert der Filmemacher. Und deshalb sind etwa die etlichen Sexsequenzen, bei denen jeder mal mit jedem darf, nicht besonders erotisch, sondern von ihrer nüchternen Mechanik geprägt. In Cannes hat CRASH die Zuschauer wie mit einem Axtschlag in zwei Lager gespalten. Ehrfurcht oder Entsetzen: Etwas anderes kann dieser Film nicht hervorrufen. Doch um eine dieser raren Empfindungen zu spüren, muß man sich erst auf den seltsamsten Kino-Trip dieses Jahres einlassen.
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