Die Platte des Monats: Wilco :: Yankee Hotel Foxtrot
Also sprach Bob Dylan: „To live outside the law you must be honest“ – und Jeff Tweedy ist ein ehrenwerter Mann, ein Gesetzloser natürlich, dem die „rules and regulations“ des Geschäfts herzlich egal sind, ein unerschrockener Reisender durch allerlei musikalischen Welten: Bei Uncle Tupelo, jener Band, die mit dem Titel ihres Debütatbums NO DEPRESSION (1990) erst einer Zeitschrift, dann einem kompletten Genre den Namen gab, deutete er Punk in Country um. Danach folgte er mit Wilco drei Alben lang seiner Vision einer „cosmic american music“: Ob Country oder Soul, Pop oder Postrock, Jazz oder Ambient, alles fand Eingang in den Kanon der begnadeten Eklektiker, oft flössen mehrere Stile in einen Song ein. Und boy, was für Songs das waren: ambitioniert, abenteuerlich, oft genug atemberaubend – auch für die Buchhalter der Plattenfirma, wenngleich aus anderen Gründen. Doch auf all die Querelen und Querschüsse soll an anderer Stelle eingangen werden. Hier soll es um die Musik gehen, die reine Musik und nichts als die Musik, denn nach endlosen Irrungen und Wirrungen liegt nun mit YANKEE HOTEL FOXTROT ein neues Wilco-Atbum vor.
Und wieder bleibt der Wandel die einzige Konstante, ist kaum etwas so wie auf dem in Pop-Grandezza getauchten Vorgängerwerk SUMMERTEETH, von den Americana-Arabesken des Frühwerks ganz zu schweigen. Die Veränderungen beginnen schon beim Personal – neben Tweedy und Bassist John Stirratt agieren jetzt Glenn Kotehe und Leroy Bach statt Ken Coomer und Jay Bennett an Schlagzeug und Keyboards – und hören bei der Aufgabenverteilung im Studio noch lange nicht auf. Diesmal: „Produced by Wilco; mixed by Jim O’Rourke.“ Und tatsächlich ist die Handschrift des Hipsters aus der Chicagoer Postrock-Posse, dem vom zartesten Gitarrengezirp bis zum noisigen Rauschen wenig fremd ist, zwischen den Zeilen deutlich erkennbar.
Auch das Songmaterial hat eine Wandlung durchgemacht. Nehmen wir nur den siebenminütigen Opener „I Am Trying To Break Your Heart“: Ein paar frei schwebende Töne und ein sachte pochender Groove umgarnen sich, nach einer Minute setzt der Gesang ein, an dem sich unvermittelt all die Geräusche ausrichten wie Eisenspäne an einem Magneten, und plötzlich wird aus dem Geklapper und Gefiepe ein Song, ein großartiger noch dazu, der zum Finale in ein atonales Schwirren und Klingeln abkippt, dass man meinen möchte, eine Spieluhr gäbe gerade ihren Geist auf: Gram Parsons meets Tortoise, um mal einen (ungefähren] Anhaltspunkt zu geben.
Mit „Kamera“ folgt ein beschwingter Pop-Song, „Radio Cure“ zischelt Unheil dräuend, als hätte Brian Eno ein Leonard-Cohen-Stück verfremdet, in „War On War bürsten Störgeräusche vom Billig-Synthie die harmonische Grundstimmung gegen den Strich. „Jesus etc.“ wiederum ist ein von Fiedel und Pedal Steel beflügelter Ohrwurm mit „Rolling Thunder Revue“-Flair, „Ashes Of American Flags“ ein psychedelischer Exkurs, der auf halbem Weg in den interstellaren Overdrive abhebt, nur um übergangslos im mild-ironischen „Heavy Metal Drummer“ aufzugehen. Aus dem bläserverstärkten „I’m The Man Who Loves You“ kann, wer will, die Sophistication eines Ray Davies heraushören, „Pot Kettle Black“ betört mit folkigem Flow, und die Mini-Suite „Poor Places“ schafft in etwas über fünf Minuten, was Bands in den Siebzigern meist erfolglos auf ganzen Plattenseiten versuchten: ein Kaleidoskop unterschiedlichster Stimmungen erstehen zu lassen, was bei Wilco -Wunder, oh Wunder – ebenso unangestrengt wie schlüssig klingt.
Mit dem finalen „Reservations“ verweht YANKEE HOTEL FOXTROT (der Titel ist dem Luftverkehr- und Militäralphabet entlehnt] schließlich geradezu ambient. Syd Barrett. Brian Wilson. John Cale zu Zeiten von MUSIC FOR A NEW SOCIETY. Neil Young. Alex Chilton. Will Oldham. Verlängern Sie diese Liste bitte nach Belieben. Aber vergessen Sie Jeff Tweedy nicht.
www.wilcoweb.com
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