Die Singles

Krefeld ist eine Stadt am Niederrhein, die möglicherweise demnächst einen drittklassigen Fußballclub haben wird. Das ist schade für den KFC Uerdingen. Erstklassig ist allerdings nach wie vor Marcus B. (Nachname abgekürzt). Marcus B. ist gebürtiger Krefelder, und wenn er über sekundäre weibliche Geschlechtsmerkmale redet, macht er das sehr charmant. Dann sagt er nicht etwa das schnöde Wort mit „T“, sondern spricht von schönen „Rudeldus“. Ganz ähnlich heißt übrigens ein neues Projekt, bei dem im Mai garantiert die Bäume ausschlagen werden: Roudoudou kommt zwar nicht aus Krefeld, sondern aus Frankreich ist aber nichtsdestotrotz charmant. Tres charmant sogar. Ganz einfach, weil bei „Peace And Tranquility To Earth“ (Virgin) erstmal wie verrückt die Grillen zirpen. Die Grillen bekommen später Besuch vom Sampler und äußern sich dann ebenso artgerecht wie alternierend mit einer dezent gezupften Wandergitarre. Und dazwischen taumeln ab und zu zart geklöppelte HipHop-Beats, und im Videoclip zum Song will ein hormonell verwirrter Kinderspielzeug-Roboter einer ohnmächtigen Bäuerin an die Wäsche gehen. Womit wir dann ja wieder bei den Rudeldus gelandet wären.

Mit Rudeldus hat Babybird alias Stephen Jones überhaupt nix am Hut. Jedenfalls nicht auf seiner aktuellen Single „Back Together“ (Virgin). Seine Herzdame ist nämlich weg. ihr Nachtgeruch ist leider noch da, und überhaupt ist alles doof. „Without you, this house is a hearse (= Leichenwagen) without wheels“ singt Babybird mit der Geliebten war also nicht unbedingt mehr Leben in der Bude, aber wenigstens war das Leid geteiltes Leid. Das ist großer Pop, das ist melodramatischer Schwulst im Deluxe-Format und natürlich auch in der hier vorliegenden Remix-Version (das Original ist auf dem ’98er Album, „There’s Something Going On“ zu hören) pompös arrangiert. Und rein textlich wandelt Babybird damit sowieso stilsicher auf dem schmalen Grat zwischen schonungsloser Romantik und herrlichem Zynismus – ganz ähnlich wie seinerzeit The Smiths.

„Lagerlagerlager“ war der Schlachtruf im ersten Charts-kompatiblen Techno-Klopfer aller Zeiten. Das meinte zwar im Grunde auch nichts anderes als „Bier her – oder ich fall‘ um“, funktionierte aber in „Born Slippy‘ von Underworld ganz prima. Zum einen, weil der Track ein ganz entscheidender Partikel auf dem Soundtrack zum Kultfilm „Trainspotting“ war, zum anderen, weil er konsequent fortführte, was Underworld auf ihrem ’96er Album „Second Toughest In The Infants“ angefangen hatten: So muß elektrische Musik klingen, wenn sie rocken soll. Leider ist davon auf der neuen Single nichts zu hören. „Push Upstairs“ (V2/Rough Trade) bollert unmotiviert vor sich hin, dazu nölt der Underworld-Vorsitzende Karl Hyde seinen Sprechgesang, und ansonsten kommt „Push Upstairs“ nicht so recht aus dem Quark. Dreimal gehört, zweimal fast eingenickt dabei. Aber immerhin: Zwei tröstliche Dinge bleiben. Erstens: „BeaucoupFish“, das Album zur Single, ist noch langweiliger. Zweitens: Neuesten Interviews zufolge betrachten Underworld Musik nur als ihr Hobby, die amtliche Kohle verdienen sie mit ihrer Werbeagentur „Tomato“. Nun gut: Hobbys kann man ja wechseln.

Wie komplett, rundrum und überhaupt elektronische Musik heutzutage rocken kann, macht uns Jörg Burger vor, in dem er uns mal wieder als The Modernist kommt. „Architainment“ (The Populär Organization) heißt seine neue 12 Inch, und bei der hüpfen die Synapsen schon, wenn man sich allein die Pressung der Vinyl-Maxi anguckt: Man kann die Soundschleifen, die Thw Modernist legt, mit dem bloßen Auge erkennen. Und wenn man dann flugs die Starttaste drückt, zappelt’s zünftig los. „Architainment“ ist schwer pumpender, flott groovender Minimal-Techno, der definitiv das hat, was Underworld derzeit fehlt: Eier.

Wir wissen nicht, ob Aphax Twin immer noch Asthma hat. Einen Song hat der Mann, der eigentlich Richard D. James heißt, jedenfalls diesmal nicht über seine

Atemwegserkrankung gemacht (wie dereinst bei „Ventolin“). Was Aphex Twin allerdings diesmal hat sind, ja genau: Rudeldus (siehe unser Foto links). Zumindest auf dem Cover seiner neuen Single „Windowlicker“ (Warp/RoughTrade). Da grinst er – mit Vollbart, goldenen Ohrgehängen und prall gefülltem Bikini – feist in die Gegend. Was jetzt ein wenig unseriös klingt, markiert allerdings bestimmt nur die Rekreationsphase von „Windowlicker“. Denn der Track war sicherlich harte Schufterei und hat nur noch entfernt mit dem zu tun. was man gemeinhin als „Musik“ bezeichnet. Es pluckern die HipHop-Beats, diverse Schaltkreise werden auf Halt- und Belastbarkeit getestet – und dann ist da noch elektrische Kakophonie mit fies reingesampelten Stöhngeräuschen. Ein verrücktes Kerlchen, dieser Aphex Twin, und zuweilen recht anstrengend.

Und zum Schluß: Belle & Sebastian. Ja, genau: Die Verhuschten, die Vertrödelten, die Entrückten. Oder auch: Die Niedlichen, die Verträumten, die was-weiß-ich-dennnoch-alles. Die Belle & Sebastian, die mitunter acht Schotten in einer Band sind und auf ihrer ’98er Schallplatte „The Boy With The Arab Strap“ ganz und gar wie nicht von dieser Welt musizierten – so schön war das. Und so schön ist das auch 1999 noch immer. „This Is Just A Modern Rock Song“ (Jeepster/Virgin) ist möglicherweise schon vom Titel her glatt gelogen – und dann natürlich auch wieder nicht. Klar ist aber auf jeden Fall eins: Hier sollen die Worte Pause machen. Das soll man hören. So schön ist das.