Ein Denkmal
Kuba und seine Hauptstadt kennt der größte Teil der Menschheit nur aus Klischees. Die Mehrheit sieht Havanna als jämmerliche Ruine, als bestes Beispiel dafür, wo es hinführt, wenn man sich dem globalen Wirbelsturm von Beschleunigung, Wachstum und Zukunftsfähigkeit verweigert und in ewiggestriger sozialer „Besitzstandswahrung“ verkrustet. Wenige andere schwelgen in antikapitalistischer Melancholie und verweisen darauf, dass Elend und Verwahrlosung gerade dort, wo der entfesselte Kapitalismus sein Wesen am zügellosesten treibt, ungleich größer und schlimmer seien. Ein Denkmal ist die alte große Stadt den einen wie den anderen, nicht aber für die knapp 2.2 Millionen Menschen, die dort – je nach Sichtweise – leben müssen, dürfen oder wollen, ganz gteich, ob sie für oder gegen Castro oder einen Anschluss an die weltweite Fortschrittsmaschine sind. Die zeigen sich Touristen gegenüber zu den gängigen Vorzeigebildern dereinen und anderen Seite (strahlend renovierte Paläste vs. desolat-chaotische Überreste! stolz bis beschämt, weitenteils ist ihnen der Rummel jedoch schnurz und der Alltag wichtiger. Den zeigt, zum ersten Mal in derart beeindruckendem Umfang, der Fotograf Robert Polidori: Straßen, Hauseingänge, spielende Kinder, Autobesitzer beim ebenso müßigen wie dauernden Herumreparieren an ihren selber längst denkmalreifen Schlitten, Auswüchse des 60er-Jahre-Plattenbauwahns, Arbeiter in Werkstätten und Büros, Läden, Passagen, Hinterhöfe und Interieurs, mal mit buntem Plastikramsch geschmacklos teilverwestlicht, mal liebevoll restauriert oder einfach nur bewohnt. Und vor allem, inmitten der kaum zu erfassenden Fülle von Details, immerwieder Menschen, beim Warten, Werkeln, Wursteln, Witzemachen usw. – was Menschen eben tun, wenn sie einfach tun, was sie tun. Propagandisten der einen wie der anderen eingangs erwähnten Fraktion möchte man dieses Buch ohne ein weiteres Wort in die Hand drücken, damit sie erfahren, von was sie reden. Mag sein, dass jene Kubaner, die das Ende der gegenwärtigen Zustände herbeisehnen, nicht ahnen, welcher Horror sie erwartet. Mag sein, dass die anderen, die die Idylle des Stillstands genießen, verschrobene Trottel sind. Es spielt keine Rolle. Havanna ist, wie es ist: einzig, weltfremd und von erschütternder Schönheit. Gedruckte Worte sind dafür nicht nötig; vier CDs, bestückt vom zuverlässig kompetenten Edel-Label Winter & Winter, runden das Bild in jeder Hinsicht ab und machen das Buch selbst zu einem Denkmal.
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