Boom Box


Die HipHop-Kolumne von Davide Bortot

Zwischen Malle und Marzahn

Genrehommage und Mitgröl-Hooks: Das aktuelle Album von K.I.Z.

Alles verboten: „Dubstep“-Beats, Freunde featuren, „Nutte“ sagen. Trotzdem machen: K.I.Z. Die Kreuzberger Krawallbrüder sind zwar immer noch nicht die neuen Ärzte, dafür aber entscheidend beteiligt am erstaunlichen Gesundungsprozess des Deutsch-HipHop.

In dem halben Jahrzehnt ihres Bestehens haben die vier „Kannibalen in Zivil“ je nach Zählweise drei bis fünf Alben veröffentlicht, ungefähr 450 Opfer gefickt, sechs- bis siebentausend Schwestern und noch mehr Konventionen. Nirgends sonst verlaufen die Fronten so klar wie im Deutschrap: Es gibt den Rap von der Straße, den die einen für dumm halten und die anderen für echt; und dann gibt’s den von der Schulbank, den die einen gewitzt finden und die anderen „schwul“. K.I.Z. entziehen sich dieser Deutungsdualität mit beeindruckender Konsequenz. Ihr Crunk klingt wahlweise nach Marzahn oder Malle, ihre Hooks sind maßgeschneidert zum Mitgrölen. Ob denn alle wüssten, wie sie ihren auf dem Zeltplatz erworbenen HI-Virus loswürden, fragen sie etwa auf Festivals in die Runde und lassen die Massen „Eine Jungfrau ficken“ skandieren. So geht Borat in Berlin.

Zwischen diese nur scheinbar plumpen Provokationen platzieren K.I.Z. messerscharfe Beobachtungen über die langsam zerfallende Solidargemeinschaft BRD, das Leben und natürlich deine Mutter – das alles verpackt in eine trojanische, auf naive Weise mitreißende Abgehästhetik. „Karikieren sie das Genre oder bringen sie das herrschende Elend nur wortgewaltig zu neuer Meisterschaft?“, fragte kürzlich verstört die „Intro“. Ja, sind die jetzt für oder gegen Deutschrap? Die Antwort lautet: K.I.Z. sind Deutschrap. Und sie nehmen dir nicht nur dein Gut und dein Böse weg, sondern auch dein Handy.

So ist ihre neue Platte Urlaub fürs Gehirn erneut Genrehommage und Gesellschaftsstudie in einem. Auf „Doitschland schafft sich ab“ wettern sie in Umkehrung der szeneüblichen Homophobie gegen „ehrenlose Heteros“ („Wie kann man da, wo man rauskam, seinen Schwanz reinstecken?“) „In seiner Mutter“ ist eine Collage brillanter Battlerap-Beleidigungen, „Koksen ist scheiße“ eine Ode ans Kiffen. „Fremdgehen“ schließlich bringt in knapp drei Minuten die menschlichste aller Erbärmlichkeiten auf den Punkt. Denn worüber man nicht sprechen kann, darüber soll man rappen.

Zumindest, wenn man das so gut kann wie K.I.Z.