Grenzmusik

Liedermacher lassen sich von Rock-Musikern begleiten, damit ihre Worte nicht nur in den Kopf, sondern auch in die Beine gehen. Bei der Live-Doppel-LP WENN ICH SING (RCA) von Klaus Hoffmann geht es mal wieder ins Auge. Schade. Das Fehlen einer Textbeilage ist unverzeihlich. Denn auch wenn der Sänger sich nur auf Gitarre begleitet, ist kaum eine Zeile zu verstehen. Das Maß ist endgültig voll, wenn Hoffmanns Übersetzung von Jaques Breis „Amsterdam“ im Sound-Sumpf untergeht. Der Beifall nach dem Vorlesen eines Rimbaud-Gedichtes kann auch nur den pantomimischen Fähigkeiten des Berliners gelten. Ohne Wertung.

Liebe Wader-Fans, bitte seid tapfer, Euer Hannes hat ebenfalls eine Rock n Roll-LP vorgelegt: LIEBESLIEDER (Pläne). Aber im Gegensatz zu Klaus Hoffmann reizten ihn mehr die kammermusikalischen Aspekte des Rock. So manche Textzeile könnte geschliffener, manche musikalische Idee zupackender klingen. Aber im Vergleich zu einigen anderen Liedermacher-Produktionen der letzten Monate verdient dieser neue Hannes Wader eine (6). Nimmt man Waders LPs aus den siebziger Jahren als Maßstab, dann eine (5).

Keinen Vergleichsmaßstab gibt es für die LP OPERA FOR AFRICA (DGG),Mitschnitt eines Benefizkonzertes, zu dem sich die derzeitige Elite der Opernbühnen am 18.8. 1985 in der Arena von Verona traf. Anspieltip: 20000 begeisterte Italiener singen gemeinsam mit der Montserrat Caballe und Jose Carreras ein Duett aus Verdis „La Traviata“. (5)

Ebenfalls eiskalt den Rücken rauf und runter läuft es dem Hörer bei einigen Tracks von MUSIC OF WAR AND PEACE (Erato). Werke des 16. Jahrhunderts, gespielt von Boston Camerata. Lieder zur Verherrlichung des „edlen Kriegerhandwerkes“ stehen -— gewollt kommentarlos -— neben Gregorianischen Klagegesangen und Instrumentalstücken zum Thema „Krieg und Frieden“. (5) Minimal-Artist Terry Riley schlägt dagegen auf seiner Doppel-CD THE HARP OF NEW ALBION (Celestial Harmonies/TIS) nur friedvolle Töne an. Ein speziell gestimmter Bösendorfer-Flügel erlaubt harmonische Wendungen, die sonst auf einem Klavier nicht zu verwirklichen sind. Rhythmisch Interessantes hat Riley in dieses 100-Minuten-Opus hineinkomponiert. Ein begabterer Piano-Virtuose hätte diese Mischung aus Komposition und Improvisation allerdings weniger angestrengt interpretiert als Riley, deshalb nur: (4).

Schwereloser klingt daneben das Spiel des Franzosen Alain Kremski. Bei seinen bisherigen LPs (z.B. „Vibrationen für Klavier und tibetanische Gesangsbehälter“. „Rituelle Musik für Glocken und Gongs“) wurde die meditative Stimmung leider durch die französische Preßqualität manchmal ein wenig getrübt. Aber die LP GURDJ1EFF/DE HARTMANN (Auvidis/Schwann) liegt nun als CD vor. Ein Genuß. Alain Kremski spielt Werke des Komponisten Thomas de Hartmann, der sich dazu von dem russischen Guru George Gurdjieff inspirieren ließ. (6)

Noch ein Mann, der lange genug ein Insidertip war: Konrad Ragossnig. 1986 hatten LP-Sammler gleich mehrfach Gelegenheit, dieses Idol der klassischen Gitarristen für sich zu entdecken. Seine mustergültige 1978er-LP SPANISCHE GITARRENMUSIK wurde wiederveröffentlicht (Claves/ Disco Center). Als Begleiter des Tenors Peter Schreier ist Ragossnig zu hören auf einer LP. die im Frühjahr erschien (Capriccio). Ihre Version des Schubert-Liederzyklus „Die Schöne Müllerin“ war aus dem Katalog gestrichen, — sie soll demnächst als DMM-Pressung neu aufgelegt werden (EMI). Nun ist auch endlich Ragossnigs LP GUITAR MUSIC OF OUR TIME (wergo) erschienen. Von Kompositionen des Brasilianers Heitor Villa-Lohos bis hin zu Bearbeitungen von Volksliedern aus Kärnten reicht das Repertoire. (6)

Wer anschließend seine Ohren wieder an E-Gitarren gewöhnen möchte, sollte PERFECT PUNISHMENT (Top Hole Records/ARIS) auf den Teller legen. Auf dieser Mini-LP (sechs Titel, 25 Minuten) zeigt Weekend At Waikiki. wie man sogar aus Schwermetall reizvolle Zwischentöne herausarbeiten kann. (4)