The Singles


Wir sind gespannt auf das neue Album von Christy & Emily, das demnächst im Studio von Faust-Gründer Jochen Irmler entstehen wird. Das minimal-kammerfolkige Brooklyn-Duo ist mittlerweile zum Quartett angewachsen. Und „Bells“, der erste Song, der in dieser Besetzung entstanden ist, markiert schon mal eine musikalische Veränderung. Christy & Emily klingen wie die Überbringer einer verhallten, fuzzy Rock ’n‘ Folk ’n‘ Roll-Botschaft aus den späten 50ern. Talk Normal, ebenfalls ein Duo aus Brooklyn, bedient sich auf „Hurricane“ zu kakofonischer Lärmbegleitung mehr dem spoken als dem gesungenen word. So müssen die frühen Velvet Underground vor ihren ersten Plattenaufnahmen geklungen haben. Wo das alles drauf ist? Auf der Split-7-Inch „Quick Words“ (Klangbad/Broken Silence).

Ed Upton, dieser wilde Hund, war in den vergangenen paar Jahren produktiver als je zuvor in seiner annähernd zwei Jahrzehnte währenden Karriere. Ständig erscheinen dieser Tage bei den unterschiedlichsten Labels neue 7- und 12-Inches der DMX Krew. Diese hier, „The Game“ (Permanent Vacation/Groove Attack), spricht einmal mehr für die musikalische Vision von Produzent und beteiligtem Label. Außerdem teilt uns Upton hiermit mit, dass es sich bei vordergründig relativ unterschiedlichen Spielarten wie 80s-Synth-Pop („The Game“) und Italo-Disco (das hervorragende „Disco Theme“ auf der B-Seite) um sehr nahe Verwandte handelt.

Wer gern „Gitarrenmusik“ hört, aber verständlicherweise mit dem in den letzten Zuckungen liegenden Nullerjahre-Indie-Zeug nichts mehr zu tun haben will, für den gibt’s ja Gott sei Dank die Dum Dum Girls. Die EP „He Gets Me High“ (Sub Pop/Cargo) hat drei Eigenkompositionen mit wundervollem Sixties-beeinflussten Gitarren-Noise-Pop (hören Sie die Schmonzette „Take Care Of My Baby“) plus eine Coverversion von „There’s A Light That Never Goes Out“ von The Smiths, bei denen es sich ja auch um eine Sixties-beeinflusste Gitarrenpop-Band gehandelt hat. Produziert von Richard Gottehrer (of The-Strangeloves-„I Want Candy“-fame) und Sune Rose Wagner von den Raveonettes.

Die legendären Berliner Elektropopper Jeans Team geben wieder mal Laut mit einer 12-Inch, die als Doppel-A-Seite konzipiert ist: „Cocktailständer/Totes Kino“ (Motor Music). „Totes Kino“, ein minimalistischer Elektrokracher, klingt ein bisschen wie „Kaltes klares Wasser“ von Malaria, finden Sie nicht? „Cocktailständer“ ist ein NDW-infizierter Disco-Track. Den Remix von Riley Reinhold, „Cocktailsandwich“ genannt, hätten wir gern noch gehört, war aber leider nicht dabei im digitalen Bemusterungspaket.

Sake, das wissen Sie wahrscheinlich selber, ist ein Reiswein, der runtergeht wie Limonade und dabei relativ unbemerkt einen wahnsinnigen Rausch verursachen kann. „Saké“ (Kitsuné) ist aber auch der Name der ersten Single des französischen Duos Jupiter, die wiederum ein Lebenszeichen des Kitsuné-Labels darstellt. Retrohafter Filter-House-Electro-Rock, den man so natürlich auch schon gehört hat. Dazu gibt es fünf Remixe, u. a. einen von In Flagranti.

Menschen, die Lady Gaga unter rein popphänomenalen Gesichtspunkten betrachten, also ihre Musik vor dem Hintergrund der gigantischen Selbstinszenierung als Nebensache abtun, die hören halt einfach nicht zu. „Born This Way“ (Interscope/Universal) ist viel mehr als die Summe aus Britney-Miley-Aguilera, es ist eine gigantische Hymne, die auf den Ruinen von allem, was vorher Pop sein zu glauben schien, aufgebaut ist und diesen ins 21. Jahrhundert trägt. Das Evangelium der Gaga in vier Minuten und 17 Sekunden. Ständig passiert etwas Neues – der Song als klingendes Suchbild, mehr Pop und mehr Heute als alles andere; ein phänomenaler Euro-Disco-Stampfer, der bis ins letzte Detailchen ausgearbeitet ist – man beachte zum Beispiel den epileptischen Anfall der Bassdrum bei 1:48. Und: Glaubt irgendjemand allen Ernstes, die Tatsache, dass man aus diesem Song eine Verwandtschaft zu Madonnas „Express Yourself“ heraushören kann, wäre Zufall? Das ist kein Zufall, sondern ein Wink mit dem Zaunpfahl.

Ich weiß gar nicht, was die hier alle gegen Clare Maguire haben. Die 23-jährige Engländerin betreibt die längst fällige Melissa-Etheridge-isierung der aktuellen (Indie-)Popszene. Im Original ist „Ain’t Nobody“ (Polydor/Universal), Maguires Debütsingle, ein hymnisch-pathetischer Popsong, der sofort ins Ohr geht. Beim „Siriusmo & Jan Driver Remix“, einem tribal-technoiden Rework, handelt es sich eigentlich um eine Coverversion. Im „Breakage’s Suck It Up Remix“ wird das Pathos des Originals auf einem entschleunigt fliegenden, subsonischen Dubstepteppich auf die Spitze getrieben. Gänsehaut, Baby!