Heinz Rudolf Kunze über das neue Album von Nena: Wunder geschehen :: Mehr Licht – Als Schattendasein
Köln-Innenstadt, Sommer 1985. Ein Taxi kämpft sich schrittfahrend durch die Fußgängerzone. Welle auf Welle von kreischenden Minderjährigen bricht sich an der Kühlerhaube und umflutet rüttelnd, scheibenkratzend und verdeckbetrommelnd das Fahrzeug. Der Fahrer ist bleich und nervös, ich, auf dem Rücksitz, bin fassungslos. Neben mir sitzt Nena, das Objekt der hysterischen Begierde, und winkt unbefangen lächelnd nach allen Seiten, wie der fröhliche Mittelpunkt eines gigantischen Kindergeburtstags.
Berlin-Tegel, Herbst 1986. Als ich mich für den Flug nach München anschnalle, nimmt Nena schräg vor mir Platz, „Na“, fragt sie zwinkernd, „haste ’n Hit auf Tasche?“ „Glaub‘ schon“, grinse ich. „Dufte“, antwortet sie, „ich nicht“. Und lächelt wieder. Reichlich müde allerdings.
Keine andere Karriere in diesem aufgeregten Geschäft verlief bislang kometenhafter als ihre. Niemand feiert vergleichbar schnell Triumphe solchen Ausmaßes, niemand stürzte ähnlich abrupt ob. Man kann zu dem Phänomen Nena stehen, wie man will; Unbezweifelbar war sie, die freundlich-durchschnittliche Antwort auf Debbie Harry, einige wilde Jahre lang das deutsche POP-IDOL – und dieses Land geht nicht eben pfleglich mit Idolen um. Lemper und Falco können ein Lied davon singen.
Sollte jemand ein Schlachtfest von mir erwarten, muß ich ihn enttäuschen: WUNDER GESCHEH’N hat deutlich mehr Licht als Schattenseiten aufzuweisen, obwohl oder gerade weil das Album unterschwellig bitterer und trauriger ausgefallen ist als frühere Teenage-Eruptionen. Die beruflichen, vor allem aber die privaten Schicksalsschläge der letzten Zeit, in den Medien schon übergenug süßlich ausgewrungen, durchziehen alle Texte, naiv zwar wie eh und je, aber eben nicht altschlagerhaft abgefeimt. Nena hat nicht verlernt, eingängig zu sein, und sie hat Schwermut verarbeitet, ohne klebrig zu werden. Mal abgesehen von dem Manko, daß die Musik in Ermangelung eines festen Bondkonzepts die Interpretin hier und da ein bißchen beliebig umsäuselt: Das Titelslück hat was Schüchtern-Ergreifendes, das „Schlaflied“ ist fast so beklemmend privat wie John Lennons erste Solo-Selbsttherapien, „Keine Langeweile“ ist eine folkige Uptempo-Nummer mit unaufgesetztem Spaß, und „Weißes Schiff“, das mich kurioserweise an die besten Sachen von Thommie Boyer erinnert, ist für mich das Beste, was die junge Dame je zu bieten hatte. Ein gelungenes Comeback – Anknüpfung an alte Höhenflüge nicht ausgeschlossen. Ein Vier-Sterne-Menü.
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