Herr Lehmann :: Szene-Roman: Dichter Debüt

„Wir sitzen hier fest, was auch immer geschieht / Verwirrt, träge und verliebt“: Mehr als acht Jahre ist es her, dass Sven Regener diese lakonische und doch viel sagende Zeile geschrieben hat („Draußen hinterm Fenster“ heißt das Lied, WEISSES PAPIER das epochale Album, dem es entstammt). Und eben diese Zeile kommt einem in den Sinn, wenn man Herr Lehmann liest, das furiose Romandebüt des Sängers von Element Of Crime. Kein Wunder, schließlich könnte sie glatt als Psychogramm von Regeners Helden durchgehen, Frank Lehmann mit Namen, der aber seines mit Macht nahenden 30. Geburtstages wegen von Gott und der Welt nur „Herr Lehmann“ gerufen wird. Herr Lehmann also lebt im Westberlin des Jahres 1989, genauer gesagt in einer Kreuzberger Eineinhalbzimmerwohnung, verdient sein Geld als Thekenkraft in einer Kneipe und ist mit sich und der Welt so weit ganz zufrieden. Wenn ihm da nicht neuerdings dauernd so seltsame Dinge passieren würden: Ein unglaublich hässlicher Hund verstellt ihm den Nachhauseweg, seine Eltern wollen aus Bremen zu Besuch kommen, was Herrn Lehmann zu einer wahnwitzigen Expedition zum Kurfürstendamm – und später zu noch sehr viel Schlimmerem – zwingt, sein Freund Karl benimmt sich neuerdings immer seltsamer. Und dann ist da noch Kathrin, die schöne Köchin, in die sich Herr Lehmann Hals über Kopf verliebt. Naja, das jedenfalls, was Herr Lehmann eben so Hals über Kopf nennt. Wer jetzt glaubt, allzu viel täte sich nicht auf diesen 300 Seiten, hat Recht und irrt dennoch: Es passiert eine ganze Menge. Nur beschreibt Sven Regener all die kleinen Siege und großen Niederlagen, die das Leben für Herrn Lehmann bereithält, all die Absurditäten, die irgendwann in eine veritable Tragödie münden, an deren Ende nichts mehr ist wie früher – außer Herrn Lehmann vielleicht -, so hinreißend beiläufig und unprätentiös, so genau beobachtet, charmant und witzig, dass man beim Lesen lacht und weint und lacht und weint und es einem irgendwann egal ist, welche Art Tränen man vergießt. Oder was einen so fasziniert: ist es die mal kreiselnde, mal knappe, aber stets präzise Sprache? Sind es die so brillant dem Leben abgeschauten wie ganz einfach blendend geschriebenen Dialoge? Ist es die fein gezeichnete Komik, die nie zu Slapstick verkommt? Ja, ja, ja – all das und noch einiges mehr. Kurz: Sven Regener, schon als Texter der Element Of Crime-Songs eine Zierde seiner Zunft, ist ein begnadeter Erzähler. Einer, der Geschichten pflückt, als wären es Blumen. Der sie aufschreibt. Und der uns damit ohne Umweg mitten ins Herz trifft. Nur so. www.elementofcrime.de

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