Howlin‘ Wolf

The Chess Box

Das volle Risiko gingen die Stones ein, als sie im November 1964 einen Blues-Song einspielten, den drei Jahre zuvor Howlin‘ Wolf aufgenommen hatte — und damit nicht mal in die Rhythm’n’Blues-Hitparade gekommen war. Daß das anzügliche Lied vom .Little Red Rooster* binnen weniger Wochen den ersten Platz der britischen Pop-Charts belegte, betrachtete Brian Jones als persönlichen Triumph über alle Skeptiker, die vorausgesagt hatten, daß die Stones nach dieser Platte erledigt sein würden. Nebeneffekt des Erfolgs: Ein halbes Jahr später durfte Howlin‘ Wolf, einer der großen alten Männer des Blues, erstmals in der landesweit ausgestrahlten amerikanischen TV-Show .Shindig* auftreten — mit den Stones zu seinen Füßen.

In den folgenden Jahren nahmen etliche weiße Blues-Adepten Howlin‘ Wolfs Lieder auf — von Doors und Yordbirds über Cream und Little Feat bis hin zu 8onnie Raitt. Eine Zeitlong genoß der vierschrötige Sänger mit der an sich unmöglichen Stimme eine Popularität wie nie zuvor. Sogar im eigenen Land galt der Blues-Prophet Mitte der sechziger Jahre wieder etwas, wenngleich nicht annähernd so viel wie in England und dem übrigen Europa. Sein letztes großes Album waren die mit Eric Clapton, Stevie Winwood, Charlie Watts, lan Stewart und anderen Könnern aufgenommenen LONDON SES-SIONS. Dennoch sah sich Howlin‘ Wolf selbst als kranker Mann noch gezwungen, seinen Lebensunterhalt durch pausenloses Tingeln zu verdienen.

Die jetzt dem Leben und Werk von Chester Arthur Burnett, des Wolfs bürgerlicher Name, gewidmete CHESS BOX mit drei CDs von gut dreieinhalb Stunden Spieldauer und erstklassiger Überspielquolität ist in ihrem historischen Rang kaum geringer zu veranschlagen als letzthin die Robert Johnson- und Muddy Waters-Relrospektiven. In Howlin‘ Wolfs Aufnahmen findet man all jenes bestätigt, was der alles andere als intellektuelle Sänger sinngemäß mal so formulierte: .Wer nichts vom Leben versteht, der versteht auch nichts von der Kunst!“