Japanese Breakfast

Soft Sounds From Another Planet

Dead Oceans/Cargo (VÖ: 14.07.)

Noch weiter weg vom Shoegaze und klarer ausproduziert, gibt Michelle Zauner ihrem Indie-Pop/-Rock mehr Glanz, Breite und vor allem ungeheure inhaltliche Tiefe.

Allein ihr einfühlsamer Gesang schenkt einem den Glauben, dass Michelle Zauner Musik macht, um andere Menschen zu trösten. Addiert man dazu die Geschichte, dass sie mit der Arbeit an ihrem Solodebüt PSYCHOPOMP (2016) unter dem Namen Japanese Breakfast begonnen hat, während sie sich um ihre sterbende Mutter kümmern musste und dabei sicherlich selbst ganz untröstlich war, hat man sich ihr bereits auf Umarmungs-Distanz genähert. Ja, natürlich ist das alles Fantasie, Projektion, Gespinsterei, aber wer so gar keinen Realitätsflucht-Bedarf hat, der muss sich fragen lassen, was er überhaupt im Pop verloren hat.

Zauner greift auf ihrem zweiten Album zu einem langerprobten Mittel, um der Fantasie auf die Sprünge zu helfen: Sie schickt es raus ins All. Nach der omnipräsenten Liebe und der Beschreibung rhythmischer Nightlife-Aktivitäten auf den ersten Plätzen dürfte dieses Sujet weiterhin zu den beliebtesten Pop-/Rock-Erzählungen zählen. Vor allem als atmosphärischer Rahmen bleibt der Space ein dankbarer, frei bespielbarer (Sehnsuchts-)Ort. Diesem Zweck dient er auch auf SOFT SOUNDS FROM ANOTHER PLANET: als eine Art Bühnenbild.

Schon im Intro des psychedelisch inszenierten und doch ziemlich stoischen Postpunk-Openers „Diving Woman“ wabert und blubbert es einschlägig. Ein erstes instrumentales Zwischenspiel trägt den eindeutigen Titel „Planetary Ambience“ (das zweite den vermeintlich augenzwinkernden „Here Come The Tubular Bells“). Es klingt nach ins All zurückfliegenden Sternschnuppen, und die Flaming Lips auf ihrem jüngsten Oczy Mlody-Trip hätten daraus wohl gleich ein komplettes, mondphasenlanges Stück Meditations-Rock gezogen. „Jimmy Fallon Big“ (dessen unterhaltsame Geschichte auf S. 48 in der August-Ausgabe des Musikexpress erzählt wird) erhebt sich wiederum aus einem beinahe „Bladerunner“-verdächtigen Synthesizer-Fundament.

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Abgesehen von der hinreißenden Vorabsingle „Machinist“ , die wie Robyn- oder Annie-Hits auf ein Alleintanzrecht in Diskotheken pocht und trotz Auto-Tune-Einsatz und 80s-Saxofonsolo ihre Unschuld bis zum Ende behält, gibt es jedoch keinen Song, der sich auch textlich im Space-/Sci-Fi-Kosmos aufhält. Und diese Frau-liebt-Roboter-Geschichte („Heart burning hot enough for the both of us“, „All the times I felt so plugged in, you were tuning out“) erzählt und inszeniert Michelle Zauner so eindeutig als ein Spiel mit Klischees, dass der gemeine Sci-Fi-Nerd auch schnell das Interesse verlieren dürfte.

Ihre eigentlichen Themen sind von irdischer und persönlicherer Natur. In dem Dreampopper „Road Head“  sogar von so irdischer (und persönlicher?), dass man kurz irritiert ist, nachdem man den Begriff „road head“ noch einmal nachgeschlagen hat. Da soll Oralsex offenbar eine Beziehung retten und allein die so bildgewaltigen wie drastischen Worte, die sie für diese würdelose Angelegenheit findet, lassen ihr großes Songwriter-Talent erkennen: „ … last ditch desperate, like a makeshift siphon – pump and run!“ Und dazu perlen die Gitarren.

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Auch die sich ganz klassisch bis kurz vor Holly Golightly an die Sixties ranwerfende Ballade „Boyish“, mit wunderschönen Streicher-,  Spinett- und Reverb-Gitarren-Arrangements, die bei Angelo Badalamenti immer irgendetwas Abgründiges zu bedeuten haben (hier aber nicht), tut erst in den Lyrics weh: Er begafft andere Frauen und erkennt nicht, wie sehr er sie damit erschüttert: „I can’t get you off my mind, and you can’t get yours of hostess. Watched her lips reserving tables. While my ugly mouth kept running …“

Fast das ganze Album hindurch ist die Künstlerin am Aufarbeiten von Erfahrungen, Verletzungen, Momenten, die noch auf ihren abschließenden Reim warten. Nein, leicht macht es sich Michelle Zauner nicht. Und doch ist sie auch in der Lage, uns ein Riff wie im Refrain des versöhnlichen, stolzen  Indie-Rockers „12 Steps“ vor die Tür zu stellen, um das man mit seinen Indie-Rock-Freunden (zur Not neue suchen!) herumtollen möchte wie junge Hunde. Trost ist da gar kein Wort für!

Klingt wie: Ultra Vivid Scene: JOY 1969-1990 (1990) / The Breeders: MOUNTAIN BATTLES (2008) / Melody’s Echo Chamber: MELODYS’S ECHO CHAMBER (2012)