Jazz
Penetration (Hat Art 1997/98) heißt das bemerkenswerte Debüt-Album – genauer gesagt eine LP und eine EP – des französischen Tnos Catalogue. Ihre Musik, letztes Jahr in einem Schweizer Club mitgeschnitten, läßt außergewöhnlich unterschiedliche Vergleiche zu: Miles Davis, the Birthday Party, Alice Coltrane, PIL, Terry Riley, Can, das Art Ensemble of Chicago… Beim flüchtigen Zuhören klingen Catalogue wie alle eben Genannten, aber darüber hinaus besitzen sie eine höchst eigene Unberechenbarkeit und eigenwilligen Humor.
Kein Mitglied des Trios ist ein echter Neuling, jeder kommt von einer anderen Musikrichtung. Schlagzeuger/Keyboarder Gilbert Artrnan war Komponist und Leiter der 30köpfigen „Happening“-Gruppe UrbanSax; Trompeter/Sänger Jaques Berrocal spielte Free Jazz mit Michel Portal, Lol Coxhül und anderen – und das Letzte, was ich von Gitarrist Jean-Francois Pauvros hörte, war, daß er in einem empfindsamen „Kammer-Jazz“-Duo spielte.
Sie haben sich alle sehr verändert. Ober weite Strecken dieser Platte klingt Pauvros wie ein Bindeglied zwischen Hendrix und Birthday Party’s Rowland Howard, während sich Artman als wirklich inspirierter „Free Rock“-Drummer entpuppt, der die Songs mit Kantenschlag-Explosionen unterbricht Berrocal ist weit draußen, im All, er spuckt und hackt sich seinen Weg durch grausame Vocals oder summt desmteressiert vor sich hin oder spielt verstimmte Flöten oder jammert ungeheuer auf der Trompete, mal hektisch, Miles-mäßig gedämpft und traurig, mal unkontrolliert durch die tieferen Oktaven wie Lester Bowie. Sowas gibt Kraft. Die Jungs wissen, was sie tun. (5)
Die‘ 1981er Zusammenarbeit des Dichters Brion Gysin mit Steve Lacy, SONGS, war eine der wegweisenden Jazz-Aufnahmen dieses Jahres. Jetzt ist Gysin wieder da, allein, mit ORGY BOYS (Hat Musics 3504). Er liest, singt und schmettert „Lieder, die seinen Orgien-Gespielen gewidmet sind: William Burroughs, Mick Jagger, Keith Richard, Iggy Pop, Pam Smith. David Borne, Allen Ginsberg“.
Die Resultate klingen wie eine seltsame Mischung aus Jazz, Kabarett, Komödie, mirumalistischer Musik und boshaftem Klatsch. Als Erfinder der cut-up Prosa-Technik verwendet Gysin Wiederholung und Umkehrung von Worten zur Verschiebung von Betonung und Rhythmus seiner Gedichte – das ist manchmal grausamer als ihr Inhalt. Freunde von Prominenten-Tratsch werden sich allerdings mehr für die Details von Gysins Sex-Treiben mit den Stars interessieren. (4)
Beim Namen Stu Goldberg denkt man heute sofort an Jazz Rock“, doch LIVE (MPS 0068291) ist ein gedankenschweres und erfreuliches Tno-Album mit akustischem Piano. Das Cover-Foto (ein düsterer Sonnenuntergang), die Auswahl der Rhythmusgruppe (Palle Damelsson am Baß und Jon Christensen am Schlagzeug) und die generell impressionistische Qualität der Musik lassen allesamt darauf schließen, daß Goldberg lieber für ECM aufnehmen würde, Manchmal erscheint Goldbergs Spielweise zu sehr an seinen Konkurrenten ausgerichtet, und sein Hang zu überelaborierter, Jarret-hafter Blumigkeit ist sein größtes Problem, Aber meistens schaffen Danielsson und Christensen mit ihrem wirkungsvoll sparsamen und zurückhaltenden Spiel ein ausreichendes Gegengewicht. Palles Komposition „Les Cedres De Maxime“ ist auch das Highlight des Albums. (3) Albert Mangelsdorffs TRIPLE ENTENTE (MPS 0068293) ist nicht unbedingt die mitreißendste Platte, die ich gehört habe. Nachdem er die Grenzen des für die Free-Jazz-Posaune Möglichen mehr oder weniger abgesteckt hat, scheint sich Albert in den letzten Jahren in sichereres, eher konservatives Terrain zurückgezogen zu haben. Jede seiner Veröffentlichungen ist eine kleine Hymne an technisches Können und Professionalismus, nicht viel mehr Vielleicht braucht er Partner, die ihn stärker fordern: Bassist Leon Francioli und Schlagzeuger Pierre Favre scheinen ihm hier überhaupt keinen Antrieb zu geben. Auf der anderen Seite höre ich mir lieber den ganzen Tag das hier an als die unaussprechliche Mißgeburt namens United Jazz And Rock Ensemble. Aber es sollte noch mehr Alternativen geben; Mangelsdorff ist einfach zu gut, als daß er mittelmäßigen Produktionen geopfert werden sollte. (3)
BALLOONS (MPS 0068292) von den Keyboardern Jasper vant Hof und Joachim Kühn ist treffend betitelt. Das Album ist leichtgewichtig und voll mit heißer Luft. Es hüpft nett herum, ohne irgendetwas auszusagen. Fans von eher grober, progressiver Rockmusik mögen vielleicht über Kuhns Fähigkeit, E-Gitarren Sound auf dem Synthesizer zu imitieren, staunen… darüber hinaus kann ich mir niemanden vorstellen, den das anspricht. (1)
Sophisticated Jazz-Rock-Anhänger werden wahrscheinlich mehr Gefallen an CASCADES (Milestone 0061.177) finden, der letzten Produktion des brasilianischen Trios AZY-MUTH. Ich persönlich habe eine ziemlich niedrige – Toleranzgrenze, was Bossa Nova- und Samba-Rhythmen angeht, und mag die Gruppe lieber in ihrer geschmacklosen Disco-Laune wie beim hektischen „Club Morocco“. (2)
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