Jazz

Eines der interessanteren neuen Independent-Jazz-Label ist Europa Records aus New York, gegründet von dem Franzosen Jean-Pierre Weiller Er selbst war Bassist und spielte während seiner Pariser Zeit u. a. mit Kevin Ayers, Hugh Hopper und Elton Dean.

Ein Ziel von Europa Records ist es denn auch, die sich um diese Leute gruppierende „Canterbury Scene“. eine der experimentierfreudigsten Stilrichtungen moderner Musik, am Leben zu erhalten So veröffentlichte Weüler das letzte Album von National Health D.S. AL CODA, eine Jam-Session mit Phil Miller, Richard Sinclair und Alan Gowen, die den Titel BEFORE A WORD IS SAID trägt sowie die Hopper/Gowen-Platte TWO RAINBOWS DAILY. Als Wiederveröffentlichung aus der „Canterbury Scene“ ist außerdem KEW RHO-NE, eine alte Aufnahme von John Greaves und Peter Blegvad, im Programm, Neue Soloalben von Richard Sinclair und John Greaves werden in Kürze folgen Als alter Fan von Soft Machine und deren Nachfolgern stehe ich solchen Aktivitäten natürlich sehr wohlwollend gegenüber, aber es ist, wie gesagt, nur ein Anliegen von Europa Records. Auch dem New Jazz hat sich das neue Label verschrieben. Die beiden derzeit aktuellen Veröffentlichungen fallen genau in diese Kategone.

MUSIC/SANGAM von dem Trompeter Don Cherry und dem indischen Tabla-Spieler Latif Khan würde Cherry wohl selbst wieder als „universal world tolkloie“ bezeichnen, sein Lieblings-Terminus für all seine Vorhaben, der aber tatsachlich zu den meisten seiner Platten paßt.

Es sollte wirklich mehr Leute wie ihn geben, Leute, die gegen Überflüssigkeit und Kleinlichkeit von Stil-Kategonen zu Felde ziehen. Seine Zusammenarbeit mit Latif Khan ist wieder auf seine typische Weise inspirierend. Manchmal gehen solche Jazz trifft die Welt‘-Projekte ja gehörig nach hinten los. Vor allem dann, wenn sich die sog. Kultur-Botschafter auf einen kleinen gemeinsamen Nenner einigen, der, von jedem Standpunkt aus. Wischi-Waschi ist Nicht so MUS1C/SANGAM. Khan spielt seine phantastisch umfassenden und verschachtelten Muster mit absoluter Integrität – und Cherry hüpft, flink wie eine Bergziege, mit Flöten, Trompeten, Keyboards und einer afrikanischen Jäger-Harfe um die Rhythmen herum. Das Album hat seinen krönenden Abschluß mit „Sangam“, das sich, wie ein indischer Regen unerbittlich und majestätisch vorantreibend entwickelt. ***** Die zweite Neuveröffentlichung auf Europa Records ist DOGFACE 0? 2011) von dem englischen Saxophonisten Gary Windo. Auch er ist ein weitgereister Musiker, der schon mit allen möglichen Gruppen von der Paul Butterfield Blues Band über Robert Wyatt bis Chris McGregor’s Afro-Jazz Big-Band The Brotherhood Of Breath gespielt hat. Während all dieser Unternehmungen blieb sein Sound relativ konstant. Der Klang-Charakter wird geprägt durch ein sehr weites Vibrato, Windo brüllt durch sein Rohr und schafft Strukturen, die zu je einem Drittel nach Albert Ayler, Pharoah Sanders und texamschem Hardcore-R & B klingen Laut beiliegendem Waschzettel verschmelzen auf DOGFACE Elemente des R & B, der Avant-Garde und 50er Jahre rock an trad Jazz zu einem zusammenhängenden Ganzen . Das ist zwar nicht ganz zutreffend, aber es war einen Versuch wert.

*** Import-Spezialisten dürften die Windo- und Cherry-LP schon aufgetrieben haben. Wer jedoch Schwieriegkeiten hat, sich die Platten zu besorgen oder generell Interesse am Europa-Records Katalog hat, sollte sich direkt an Jean-Pierre Weüler wenden. Die Adresse: Europa Records 611 Broadway, New York 10012, USA Ich kann Euch versichern, Ihr werdet euphorische und ausführliche Antwort bekommen.

Wo wir schon bei Franzosen sind‘ Gilbert Artman hat mir sein neues Werk geschickt. Es ist zusammen mit seiner Band Urban Sax und dem „Musique Concrete“ Komponisten Pierre Henry eingespielt, Urban Sax ist eine höchst eigenartige Gruppe 26 Saxophone spielen fast wie ein Chor zusammen. Sie kreieren traumaähnliche Zustände, die an die Trance-Musik von Terry Rilley angelehnt ist. Von den drei LP’s, die ich bisher von Urban Sax gehört habe, überzeugt mich PARADISE LOST am wenigsten. Vor allem wegen den lästigen Beiträge von Pierre Henry. Seine Rülpser und Pfürze durchschneiden die ätherische Anmut der Band. Schade.

2 Ebenfalls nicht so gut, wie es hätte werden können, ist das Vokal-Duett SWEET AND S’OURS von Julie Tippetts und Maggie Nichols, erschienen auf dem Schwester-Label von Free Music Productions: SAJ (SAJ-38). Es ist eine-Sache, eine ausdrucksstarke Interpretin von Pop-Balladen zu sein, etwas anderes, instrumentale Virtuosität in der konkurrenzstarken Jazz-Welt herauszufordern. Julie Tippetts, (ehemals Driscoll bevor sie den Pianisten Steve Tippetts ehelichte), ist dieser Herausforderung nicht ganz gewachsen Ihre Partnenn Maggie Nichols. (zuletzt auch auf der New-Wave-angehauchten LP des Aachener Ulrich P, Lask zu hören), ist die technisch versierte Sängerin, doch die Freistil-Duette der beiden führen weitgehend in ein verworrenes Nichts.

2 Jazz-Platte des Monats ist jedoch ein anderes Duett-Album, das auf FPM veröffentlicht wurde. PA1N-TINGS (FPM 0960) von Peter Kowald und Barry Guy, zwei führenden Bassisten auf dem Gebiet Free Music, Man könnte es als „Schwester-Album“ zu der früheren Kowald und Barre Phillips-LP DIE JUNGEN (FMP 0680) bezeichnen. Merkwürdigerweise kann man Kowald, der diese beiden Sessions organisiert hat, im Kreise seiner Mitspieler kaum identifizieren. Er ist äußerst zurückhaltend und kooperativ und scheint gerade dadurch die besten Seiten seiner Partner zu Tage treten zu lassen. Als Konsequenz entpuppt sich PAIN-TINGS oft genug als „Bühne“ für Barry Guys verblüffende Virtuosität und seine atemberaubende Schnelligkeit.

Die Ergebnisse jedoch sind niemals nur technischer oder akademischer Natur, sondern immer zutiefst musikalisch. Das 19-minütige Titelstück umreißt Free Music in ihrer ganzen Bandbreite. 6 Steve Lake