Jens Friebe, Boa und Half Man Half Biscuit

Eigentlich wollte ich ja an dieser Stelle an den vergessenen deutschen Indiekönig der späten 80er erinnern. Das heißt, richtig vergessen hat man

Phillip Boa

nie, man hat nur vergessen, wie groß und berechtigt die Bewunderung war, die diesem Mann einmal entgegenschlug. Aus den Trümmern der eingestürzten Neubauten bastelte er sich mit dem Voodoclub ein neugotisches Schlösschen, er hatte den Sex eines Kim Salmon und entwickelte ein überaus reizvolles Pidgin-Englisch. Pia Lund zwitscherte wie eine Libelle.Die Mischung aus spiritistischem Geigenwave und schicken, großen Hits war so auf der Höhe des damaligen Materials wie heute, sagen wir mal M.I.A. oder Jamie T. Und genau so cool fand man es auch. Mindestens bis zur HAIR und CONTAINER LOVE, vielleicht noch eine danach. Dann kam die Wiedervereinigung, und bald trug alles, was nur entfernt medivial anmutete, das Stigma des Ostigen, Hinterwäldlerischen, auch brachte die Hamburger Schule einen Paradigmenwechsel, was das Ansehen englisch singender Deutscher betraf. Spätestens ’93 war Boa hören so wie Fury In The Slaughterhouse aushalten können. Und mit seinem Ruhm wurden auch seine Platten in meiner eigenen Sammlung verschüttet, ich finde sie nicht mehr und sehe mich außerstande, dem gemordeten Ruf Boas hier en detail und fundiert zu gedenken.Auf der Suche aber fiel mir in die Hände: MCINTYRE TREADMORE AND DAVITT von

Half Man Half Biscuit

von ’91. Half Man Half Biscuit kann man als volkstümlichere, kinderliedverliebtere Version von The Fall beschreiben, oder aber andersrum (vor allem der Stimme wegen) als Pogues in schräger, kleiner, lustiger. Scheinbar dilettantische Arrangements stehen gradezu ausgefuchsten harmonischen Wendungen gegenüber, wie in dem wundervollen Lied „Outbreak of Vitus Gerulaitis“. Gerulaitis war, glaube ich, ein Tennisspieler, Nigel Blackwell singt gerne über Sport, und über Serien und englische Geographie. Am liebsten und am schönsten allerdings singt er über Arbeitslosigkeit: „If God had meant for us to work / I’m sure, he would have given us jobs.“ Schlicht, groß, vergriffen!

Jens Friebe

hat gerade sein drittes Album DAS MIT DEM AUTO IST EGAL, HAUPTSACHE DIR IST NICHTS PASSIERT herausgebracht. Außerdem ist dieses Jahr sein Buch „52 Wochenenden. Texte zum Durchmachen“ bei Kiepenheuer & Witsch erschienen. Im Dezember ist Jens Friebe auf

Tour

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Jens Friebe – 15.11.2007