Jetlag :: Von Christine Wunnicke

KNAUS VERLAG. 252 SEITEN. 36.00 MARK

Cuddie Savoy hat ein handfestes Problem. Er steht barfuß und mit Bademantel bekleidet im Fahrstuhl eines New Yorker Hotels und kann sich an nichts mehr erinnern. Er kennt weder Fitnessstudios noch Magnetkarten, hält John Lennon für mopsfidel (wenn auch gestraft mit seiner japanischen Nervensäge), Digitaluhren für Barometer und hat noch nie einen CD-Player gesehen. Kein Wunder: Für den schottischen Popstar Cuddie Savoy ist nach wie vor 1969 und nicht‘ 1996, und schon bald muss er entsetzt feststellen, daß er nicht nur einen totalen Filmriss hat, sondern obendrein weder Schatten noch Spiegelbild. Außer Zigaretten braucht er nichts weiter zum Überleben als hin und wieder ein bisschen Beachtung, Wärme und Körperkontakt mit einem menschlichen Wesen, sonst droht ihm die Auflösung. Cuddie irrt also durch New York, macht Zwischenstation bei einer höchst semiprofessionellen Rockband, erschreckt diverse Leute fast zu Tode, meckert über David Bowie, der seine Bänder remastert hat, und kommt langsam des Rätsels Lösung immer näher. An dieser Stelle sei nur verraten, dass die Textzeile „Light My Fire“, ein Hotelbrand, viel englischer Regen, noch viel mehr Whisky sowie eine antike Flöte ganz erheblich dazu beitragen, Cuddie Savoy wieder in die Spur zu bringen. Nebenbei wird elegant die Geschichte einer großen, schwulen, unerfüllten Liebe erzählt, an Eddie Cochran erinnert. John Lennon erweist sich als schlechter Gastgeber, und endlich erfahren wir, dass David Sowie seine „Space Oddity“ nur geklaut hat. Was hier vordergründig als sehr unterhaltsame, psychedelische Pop-Gespensterstory verpackt wird, handelt eigentlich von der Angst vor dem Alt- und-schlimmer noch -Vergessenwerden, dem Fluch der ewigen Jugend und dem „Früher-war-alles-besser“-Syndrom.Dass man „Too Old To Rock’n’Roll, Too Young To Die“ sein kann, wussten JethroTull schon 1976 zu berichten und ist somit nicht neu. Neu und absolut gelungen ist allerdings die Art, wiesich Christine Wunnicke in JETLAG dem Thema nähert.