Joni Mitchell – Mingus

Mit einem „unbekannteren Musiker“ habe Joni Mitchell, die Rock-Künstlerin „ohne Vergleich“, jüngst ein neues Album produziert. So munkelte man unter Fans der lockigen Lady. Der „Unbekanntere“ war in Wahrheit einer der Eckpfeiler des modernen Jazz: Charles Mingus. Siehe ME 4/79: „Me, Myself An Eye“, ATL 50571.

Um kein Mißverständnis aufkommen zu lassen: Mit Charles Mingus hat diese Platte nur so viel zu tun, daß er die Musik zu vier von sechs Lieder komponiert hat. Und daß zwischendurch Gesprächsfetzen mit dem damals todkranken und mittlerweile verstorbenen Jazzer eingestreut sind. Ansonsten ist dies Joni Mitchells Album. Audio-Gemälde nennt sie die im nachhinein Charles Mingus gewidmeten Gesangsdichtungen.

Den Pinsel mitgeführt hat vor allem und über allem Jaco Pastorius, ferner Wayne Shorter und Herbie Hancock. Hier und da mal öfter ein Tupfer aus Mingus‘ tiefschwarzem Farbkübel hätte mich Sicherheit belebender gewirkt. Über „The Dry Cleaner From Des Moines“ aber muß immerhin ein halber Farbtopf umgekippt sein, drei Minuten lang. Da boxt der Rhythmus Joni Mitchell nach vorne, ihre Stimme ist plötzlich stählern gefärbt. Darein gespritzt sind die Bläserarrangements von Pastorius. Daraus erwächst etwas von der Gospel-Message des Charles Mingus.

Ansonsten überwiegen Pastellfarben, sehr differenzierte und nuancierte zumeist. Nur zu einem der ergreifendsten Stücke von Mingus, „Goodbye Pork Pie Hat“, hat Joni Mitchell in ihrem Text das Charisma von Lester Young (ihm war die Komposition ursprünglich gewidmet) im wesentlichen reduziert auf das Hindernis, mit ner Weißen schlafen zu dürfen. Und etwas gar zu naturalistisch ist ihr völlig eigener „The Wolf That Lives In Lindsey“ mit mondsüchtigem Wolfsgeheul geraten.

Insgesamt aber ist es eine der hörenswertesten Gesangsproduktionen der letzten Zeit.