Joy Division :: Unknown Pleasures; Closer; Still
Kurz vor dem Joy-Division-Bildersturm des Anton Corbijn erscheinen die Original-Alben der großen Post-Punk-Pessimisten, jeweils ergänzt um ein Live-Dokument aus ihrer Zeit.
Dass Joy Division eines Tages noch fit for fun gemacht werden würden, hätte man nicht prophezeien mögen. Was das Albumartwork der großen Post-Punk-Pessimisten auf den lebensfrohen Sportartikeln von „New Balance“ zu suchen hat, ist auch schwer zu begreifen. Betrachten wir diese Kampagne und eine zweite, in der ein Lachs- und Thunfisch-Boxset mit dem Joy-Division-Klassiker „Love Will Tear Us Apart“ verschnitten werden, als dumme kleine Vorhut zu den umfangreichen Joy-Division-Festspielen dieses Winters – zur Dokumentation „Joy Division“ (von US-Manager Tom Atencio produziert) und vor allem zum Spielfilmdebüt des Fotografen Anton Corbijn, das im Januar in die Kinos kommen soll. „Control“ wird die Geschichte von Ian Curtis und Joy Division in prickelndem Schwarz-Weiß erzählen, ein Legendenspiel mit Sounds von Bowie, Buzzcocks, Kraftwerk sowie Joy Division und Curtis selbst. Kurz vor dem Bildersturm erscheinen jetzt die Joy-Division-Original-Alben in einer „Collector’s Edition“, jeweils ergänzt um ein Live-Dokument aus ihrer Zeit – das Kernwerk also, frisch gemastert.
Warum musste eigentlich mehr als ein Vierteljahrhundert vergehen, damit die Band, die vielleicht einmal größer als die Beatles hätte werden können, aus dem Underground zum Mittelpunkt der Pop-Welt aufsteigen durfte? Die Frage ist allenfalls mit dem Velvet-Underground-Effekt zu erklären: kleines CEuvre, Rieseneinfluss, aber in ihrer Zeit kaum zu verstehen. Die Joy-Division-Geschichte wird üblicherweise von ihrem tragischen Finale her erzählt, von Ian Curtis, der sich im Alter von 23 Jahren am 18. Mai 1980 in seinem Zimmer erhängte, am Abend vor der US-Tournee der Band, auf dem Plattenteller The Idiot von Iggy Pop. Diese Geschichte kratzt eine Kurve von Jim Morrison über Nirvana bis in die Generation von Coldplay, Interpol und den Killers (die auch auf dem Soundtrack von Control auftauchen werden). Coldplay, Interpol, Killers? Ist das etwa der Sound, der Joy Division eines Tages eingeholt hätte, wenn sie sich als Band nicht 1980 verabschiedet hätten? Alles Spekulation.
Es ist der sound of the suburbs in den späten 7oern: Ian Curtis (Gesang, Gitarre), Stephen Morris (Drums), Peter Hook (Bass) und Bernard Sumner (Keyboards, Gitarre) sind vier vom Punkrock angefixte Smalltown-Boys aus Macclesfield und Salford bei Manchester, sie besitzen nicht einmal einen Kassettenrekorder, um ihre Jams aufzuzeichnen. Ihr Debüt Unknown Pleasures, 5,5 Sterne im Juni 1979 erschienen, hat aber den „Hau weg den Scheiß“-Punk schon hinter sich gelassen. Der Bandname Joy Division mag als zynischer, zeittypischer Kommentar zu den Zumutungen durchgehen, die das Thatcher-England einem jungen lad in diesen Tagen feilbietet, die ersten Songs, die von dieser Band zu hören sind, dringen in tiefere Schichten der Verletzungen. Produzent Martin Hannett hat die perfekte Bühne dafür gefunden; Joy Division, das wird der Sound der Maschinenhallen, der Sänger extemporiert sich über laufenden Rock-Motoren, er ruft in die Ewigkeit: „This is the room, the start of it all / No portrait so fine, only Sheets on the wall / I’ve seen the nights, filled with bloodsport and pain / And the bodies obtained, the bodies obtained / Where will it end? Where will it end?“
Als Joy Division sich gründeten, arbeitete Ian Curtis in einem Rena-Zentrum für körperlich und geistig Kranke, man kann ihre Storys und Schicksale bis in die Songs auf dem Joy-Division-Debütalbum verfolgen. „She’s Lost Control“ bleibt eng mit Curtis‘ eigenem Schicksal verbunden, dem Verlust der Selbstbeherrschung durch die Epilepsie. In den Liveaufnahmen aus derselben Zeit (dokumentiert auf der CD Live At The Factory, Manchester) ist der Rock’n’Roll-Anteil einigermaßen erhöht, Gitarre und Bass zersägen Curtis‘ Gesang schon einmal oder schieben ihn in die Ecke – spürbar, die Gewalt, die von der Band ausgeht.
Zwischen den beiden Joy-Division-Alben erscheint die letzte große Punk-Platte, London calling von den Clash versucht zwischen dem Gestus der Rebellion und dem neuen Aufbegehren auf den Tanzböden zu vermitteln, Closer 5,5 Sterne, kommt drei Monate nach Curtis‘ Tod im August 1980, und diese neun Songs kriechen nun wie Endgesänge aus den Löchern, die Bruder Punk in der Geschichte des Brit-Pop hinterlassen hat. Sie sind schon Retrospektive, angetrieben von Morris‘ Roboter-Drums, Hooks schwer leidendem Bass und dem gelegentlichen Singen der Keyboards. Curtis‘ Stimme scheint aus dem Off zur Gemeinde der Wehmütigen zu barmen, eine zerrissene Seele, die zwischen „Heart And Soul“ gefährlich hin und her fährt. Eigentlich bietet das komplette Album Anhörungsmaterial zum Leiden des Ian Curtis‘, der Liebe nur mit Gewissensbissen erfährt, sich seiner Epilepsie erwehren muss – Alkohol, Drogen, Depressionen. „Decades“, das fantastische letzte Stück auf der zweiten Seite des Albums, fährt wie ein Scanner die Bilder der Entfremdung ab: „Weary inside, now our heart’s lost forever / Can’t replace the fear, or the thrill of the chase / Each ritual showed up the door for our wanderings / Open then shut, then slammed in our face“. Closer bietet aber auch einen Ausblick: Mit Joy Division lernt das Indie-Volk, seine „Isolation“ zu tanzen.
Das Album Still 3,5 Sterne, im Jahr 1981 veröffentlicht, war die Wundertüte hintendran an das Gesamtwerk von Joy Division, kompiliert aus Alternativ-, Live-Aufnahmen und Outtakes. Nicht alles passte hier, vielleicht war dieses etwas zerrissene Werk aber dennoch das beste Abbild dessen, was diese Band für ihre Fans darstellte. Die beste Platte von Joy Division war Still allerdings nicht.
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