Keith Jarrett – Hymes/Spheres

„Ist denn wirklich jeder Furz von Keith Jarrett gleich ein Doppelalbum wert?“ fragte ich mich beim ersten, zugegeben oberflächlichen Abhören. Doch später – unter dem Kopfhörer – entdeckte ich den mystischen Reiz dieser Aufnahmen, die der Jazzpianist Keith Jarrett auf der Barockorgel des Benediktiner-Klosters Ottobeuren eingespielt hat. Was vor allem „normal“ über Lautsprecher übertragen zunächst etwas eintönig klingt, erweist sich über den Kopfhörer genossen als schillernde Klangschwelgerei mit der ganzen Skala dezenter und feuriger Farben. Jarrett unterlag nicht der Versuchung, auf der Kirchenorgel zu jazzen. Denn weil die Töne nach dem Anschlag erst verspätet ansprechen, läßt sich die „Königin der Instrumente“ ohnehin schwer zum Swingen bringen. Stattdessen benutzt Keith seine romantisch – impressionistischen Kompositionen als Ausganspunkt versponnener Improvisationen. Ganz im Sinne der alten Orgelvirtuosen, die zu den weni gen gehörten, die die Kunst der Improvisation wach hielten bis der Jazz diese traditionelle Musizierweise wieder zum bestimmenden Ideal erhob. Dieses Album ist so reich an empfindsamem Klangreichtum, daß man auch nach mehrmaligem Abhören immer wieder durch neue Schattierungen überrascht wird. Schwerlich kann man den vielschichtigen Gedankengängen des Musikers auf einmal folgen. Erstaunlich ist auch, wieviele verblüffende „Effekte“ in die von Karl Joeseph Riepp (1710-1750) verfertigte Orgel bereits eingebaut waren.