Kundun
Wie ein wilder Stier wütete Martin Scorsese in seiner bisherigen Karriere als Chronist der amerikanischen Unterwelt durch seine Filme. Keine Spur davon in seinem neuesten Werk: Als wolle der einstige Priesterschüler Absolution für die Gewaltexzesse seines Sodom-und-Gomorrha-Gleichnisses CASINO erfahren, wechselte er für KUNDUN von den GoodFellas zu einem echten Good Fellow in Tibet In drei Abschnitten berichtet er in dieser filmischen Pilgerfahrt vom Leben des 14. Dalai Lama. Im ersten Teil wird der zweijährige Tenzin Gyatso in seinem Bauerndorf entdeckt und nach seiner Ernennung zum Dalai Lama, dem politischen und spirituellen Führer Tibets, darauf vorbereitet, die Geschicke seines Volkes zu lenken. Nach all den faszinierenden, mit den Augen des Jungen erzählten Ritualen nimmt KUNDUN mit dem Einmarsch der Roten Armee schließlich dramatischere Züge an, wenn der gerade einmal 15jährige entscheiden muß, wie die Tibeter auf die Aggression Chinas reagieren sollen. Im dritten Teil, der die Flucht des Dalai Lama aus Tibet und den Untergang einer Kultur thematisiert, gelingt Scorsese in einer atemberaubenden Montage schließlich die Aufhebung von Zeit und Raum, indem er Vergangenheit und Gegenwart, Vision und Realität verschmelzen läßt. Das Bild, in dem der Kundun inmitten von tausenden toter, dahingemetzelter Mönche steht, ist unvergeßlich – und überdeutlich. Scorsese drehte ausschließlich mit tibetanischen Laiendarstellern – kein Brad Pitt in Sicht. Das ist gut so, denn Stars haben in diesem Film nichts verloren, der alles in Amerika zurückgelassen hat, was an westliches Kino erinnern könnte: Wie Scorsese selbst muß man an dieses Meisterwerk ohne Ballast mit völlig neuen Augen herangehen. Das Ergebnis ist pure Magie.
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