Massive Attack – Mezzanine

Wer, wie Massive Attack, einen der besten Song des Jahrzehnts schon zu Beginn desselben und gleich zu Anfang seiner Karriere veröffentlicht („Unfinished Sympathy“), wer ein Album als ein wahres Manifest der erwachsen gewordenen DJ-Culture nachreicht (BLUE LINES); wer einem der einflußreichsten Genres der 90er Jahre – dem Trip Hop – Tür und Tor öffnet, kann eigentlich gleich wieder einpacken. Er ist ja schon ganz oben. Wie soll er da noch einen draufsetzen?Tricky und Portishead aus der Bristol-Clique, Labels wie Mo Wax, Ninja Tune, Warp, kommerzielle Bandvarianten wie Olive, Sneaker Pimps, Moloko – müßig zu mutmaßen, ob das alles auch ohne Massive Attack möglich gewesen wäre. Auf jeden Fall hatte BLUE LINES eine neue Richtung vorgegeben: DJ-Musik kann sehr wohl Ganzheitliches hervorbringen, eine vollendete Synthese auseinanderdriftender Versatzstücke bilden. Und ihr stehen dabei fast alle Möglichkeiten offen. Mit BLUE LINES reihte sich das erste Danceflooralbum gleichberechtigt im Regal bedeutungsvoller Popmusik neben die großen Klassiker ein. Danach waren die Erwartungen natürlich riesengroß. Massive Attack benötigten drei Jahre für den schwierigen Zweitling. PROTECTION brutzelte ebenso magisch vor sich hin, war aber weniger soulful, leichter zur durchschauen und eben nur eine dezente Weiterentwicklung der Ursprungsidee:

Allseits hochgeschätzte Gastsänger räkelten sich entspannt auf der samtig weichen Funkelsound-Couch. Und die selbsternannten Subkulturreferenten fertigten ihre Abgesänge auf die Bristol-Posse. Die Folge: Massive Attack taten einen Schritt zurück ins Glied. Und nun? MEZZANINE ist nicht die große Überraschung geworden. Als vokaler Stern darf diesmal die vollends entrückte Cocteau Twins-Fee Elizabeth Fräser strahlen. Ihr elfengleicher, phantasiereicher Vortrag erweicht die Herzen, doch Shara Nelson, Nicolette und selbst Tracey Thorn (Everything But The Girl) setzten diese mit Massive Attacks Hilfe schon früher in Brand. Lichterloh läßt es hingegen zum drittenmal Horace Andy mit fiebrigem Timbre in der Stimme lodern (Höhepunkt des Albums: „Man Next Door“, inklusive einem gar nicht peinlichen Cure-Zitat). Natürlich knistert, pumpt und flirrt es auch sonst wieder voluminös auf allen Kanälen, daß es eine wahre Wonne ist. Doch was ist das? Gleich mehrmals dringt eine aufgesetzte E-Gitarre aus dem Unterholz. Auch von leichten Ethno-Anflügen bleibt MEZZANINE nicht verschont. Egal, lassen wir uns doch einfach nur berauschen – selbstverloren, soundverliebt. Eindrucksvoll ist’s allemal. Wer von MEZZANINE dennoch zu glatt und entspannt durch Reglers Paradise gespült wird, darf via Remix auf eine Dekonstruktion durch respektlose Dritte hoffen – wie etwa vom Mad Professor, der dereinst das PROTECTION-Album durch die Dub-Hölle schickte: NO PROTECTION.