Metallica – St. Anger :: Hier spricht der Kritiker

Vergesst alles, was ihr über diese Gruppe zu wissen glaubt, vergesst vor allem die Platten Load und Reload, streicht „The Unforgiven“, „Enter Sandman“ und sogar „Master Of Puppets“ aus dem Gedächtnis – und holt euch erstmal ein Bier. Oder zwei. Nein, am besten gleich einen ganzen Kasten. Denn ein solch sensationelles künstlerisches Comeback hat im Rock noch keine Band erlebt. Es fällt wesentlich rabiater aus, als es manchem lieb sein wird. Die Gruppe, die mit ihrem schwarzen Album womöglich den Metal verraten hat – sie erfindet ihn hier neu. nur besser, härter, dreckiger, aggressiver, packender als jemals zuvor. Kein Mensch hat Metallica ein Album wie St. Anger noch zugetraut. Die Single „St. Anger“, an sich schon ein halsbrecherischer Teufelsritt auf höllischen Riffs, ist der zugänglichste Song auf dem ganzen verdammten, 75 Minuten langen Album. 75 Minuten warten wir auf Melodien, auf eine Ballade, wenigstens auf ein Gitarrensolo, irgendwas, woran sich der beiläufige Konsument festhalten kann – nichts, nuthin‘, nada, rien. St. Anger, das ist Ride The Lightning und Master Of Puppets in doppelter Schallgeschwindigkeit, das ist der Prog-Titan …and justice for all im Zeitraffer und im Fieberwahn. Es ist, genau genommen, „the complete works of Metallica all rolled into one“. Das Einzige, was noch an die früheren Metallica gemahnt, sind die tiefschwarzen Gitarrengewitterfronten, die monolithischen Riffs, die stumpfen Muster, um die herum sich entfaltet, was man bei gutem Willen „Song“ nennen könnte. Keine Melodie, nur noch pure Struktur. Keine Statik, nur noch vertonter Kollaps. Dieser heilige Krach will physisch, nicht psychisch rezipiert werden. Metalcore, wie ihn die Welt noch nicht gehört hat. „This monster lives“, singt Hetfield in „Some Kind Of Monster“, und er hat Recht: St. Ancer ist some kind of Missgeburt, ein blitzendes, bizarres, blutiges Schlachthaus von einem Album. Diese Platte ist nur mit Vorsicht zu genießen. Es ist ein völlig unerwartetes, absolut brutales Meisterwerk. Ein Ereignis.