Phillip Boa – Helios

Wer in den kommenden Wochen mit seinen Ohren am Radio kleben bleibt, gefangen von einem zärtlich-morbiden Song, in dem ein Engel zweideutig „And Then She Kissed Her“ haucht, sollte auf der Hut sein. Es geht weder um Mädchen-Liebe noch um eine unerwartete Zusammenarbeit von U2 und Jane Birkin. Es ist nur die Phillip Boa-Single, auf der Boas Partnerin Pio Lund einer gestörten Mutter-Tochter-Beziehung hinterherschmachtet. Obwohl das neue Voodooclub-Album HELIOS heißt, führt sich Kombo-Boß Boa noch lange nicht auf wie der neue Sonnengott. Er ist nur endgültig erleuchtet worden, mit 13 Nummern, die erstmals jede für sich Songs aus einem Guß sind, atmosphärisch-komplex wie gewohnt, aber ohne künstliche Sollbruchstellen. Boa hat gelernt, seinen Melodien, seinen Songs zu vertrauen, er braucht sie nun nicht mehr durch aufgesetzte Verfremdungs-Effekte zu zerbomben. HELIOS ist sein sechstes Album, eingespielt mit dem Voodoo-Schlagwerk, Gitarrist Ted Chau (P.I.L.) und Bassist Dave Ball (Killing Joke), produziert von Tony Toverner, E. Roc und dem New Yorker Craig Leon, dem es zu verdanken ist, daß Pias Stimme nun über komplette Songs trägt. Boa zeigt mit dem Album nicht nur, wie sich ein genialer Musik-Querkopf entwickeln kann, wenn man ihn läßt. Er zeigt auch, daß er tatsächlich das Potential dazu hat, in den 90er Jahren zur Pop-Spitze vorzustoßen. Boa ist 28 Jahre alt, er wird in den nächsten zehn Jahren verdammt viel bewegen.