Rock-Spezialitäten
Remember when? Als der Pioniergeist der 60er Jahre langsam abebbte und ambitionierte. progressive Klänge die bereits vorhandenen Stil-Schubladen aufzubrechen suchten, fiel besonders in Amerika oft der Ausdruck „Super-Session“: im Studio taten sich hochgeschätzte Solisten aus verschiedenen Bands zusammen, um ihre versammelten Talente noch höheren Ebenen zuzuführen. Oder einfach die Sau rauszulassen.
Los Angeles, Sommer ’84: Unter Regie des ehemaligen Flesh Eaters-Sängers Chris Desjardins treffen sich Mitglieder der LA-Gruppen Gun Club, X, Green on Red und Rank & File, um das gemeinsame Album TIME STANDS STILL einzuspielen.
Wer jetzt große Instrumenten-Schlachten vermutet, liegt völlig falsch: Chris D. baut seine Songs auf akustische Gitarren und stellt seine wahrlich starke Stimme durchweg in den Vordergrund. Die lockere Session-Atmosphäre sorgt selbst bei sparsamen Arrangements für einen mitreißenden Background, zu dem The Divine Horseman spannende Moritaten zum Thema Love, Guns & Murder erzählt. Auflegen und die Zeit steht still (6).
The Del Fuegos gehören bereits zu den Nachziehern dieser Welle. Eine sehr junge Gruppe, deren Debüt-LP THE LONGEST DAY deutliche Ähnlichkeiten zum sotten Sound von Rank & File oder Beat Rodeo aufweist. Nicht schlecht, aber doch etwas profillos (Rough Trade, 3).
Als erste Supergruppe der US-Westküste ’84 waren Clay Allison geplant, deren Gründer Kendra Smith (Ex-Dream Syndicate) und David Roebuck (Ex-Rain Parade) zu den örtlichen Kultfiguren gehören. Von der angekündigten Mini-LP sind wegen ständiger Besetzungsprobleme nur drei Songs übriggeblieben, die nur als Maxi (Rough Trade) erschienen sind. „Fell From The Sun“ erinnert an romantischsimple Nummern im Stile Neil Youngs; die lange B-Seite „Grains Of Sand“ ist softe Rain Parade-Psychedelia. Für Kendras schöne Stimme: (4).
Die Gruppe Yard Trauma aus Tucson, Arizona, setzt lieber auf den Punch im Rhythmus. Lance Kaufman an der Farfisa Orgel hat das perfekte Timing im kleinen Finger – und der Hauch von Blues/ Rock’n’Roll, den Sänger Joe Dodge vermittelt, hat noch niemandem geschadet. Mini-LP als US-Import (5).
Arto Lindsay, Experimentallst aus New York und Sargnagel aller Rock-Gitarristen, hat ein interessantes Album mit Maschinen-Musik aufgenommen, das der Computer-Technokratie von Produzent Trevor Hörn ein emotionales Gegenstück vorsetzt. Die oft zickigen DrumBox-Effekte wechseln mit freien und melodiösen Passagen, deren vordergründige Unordnung sich mit der Zeit als kompliziertes Baukastensystem entpuppt. Und tanzbar kann man die Musik auch nennen, jedenfalls für Fortgeschrittene (Editions EG, 5).
Noch weiter geht die Gruppe Problemist aus San Francisco, die bereits gezielt mit Free Jazz-Elementen arbeiten. Hier werden Erinnerungen an die legendäre Pop Group (London 78-80) wach (Sordide Sentimental, F-Import, 5).
Was gibt’s im Inland? Zunächst einmal eine Überraschung aus Zürich/Schweiz, wo die Gruppe Unknown Mix lebt. Ihre erste LP zeigt neue Wege der rhythmischen Synthi-Musik jenseits stupider Baß-Sequenzen. Aufregend die bis ins Gurren und Fiepsen ausgebildete Stimme der Sängerin Magda Vogel (Ef A-Vertr., 4).
Wenn im Norden der BRD The Beauty Contest psychedelisch abräumen, regieren im Westen The Multicolored Shades: Sechs Songs von ihnen sind auf einer Mini-LP erhalten, die vom Dortmunder Psychedelia-Spezialisten Last Chance Recs. (Freistuhl 17, 46 Dortmund 1) vertrieben wird. Die klar strukturierten Eigenkompositionen klingen straight to the 60s, wobei auch um Melodien kein Bogen gemacht wird. Nur die Fassung von „96 Tears“ klingt zu beschaulich (4).
Beatklub aus Hannover haben auf dem Hamburger Weihnachtsfestival gespielt, und pflegen auch auf ihrer Maxi „Chien D’Amour“ den Geist britischer Beat-Musik. Niemand würde dabei vermuten, daß der Sänger früher bei Rotzkotz war und andere Mitglieder von Der Moderne Man stammen (Zickzack. 3).
Etwas lachhaft wird es dann, wenn sich die ehemaligen Goldenen Vampire (Berlin) in Legendary Golden Vampires umtaufen und Cow-Punk zelebrieren („Creeping Poison“), zumal nahezu dieselbe Band als Nirvana Devils harmlosen Pop produziert („Some Foreign Shore“). Beide: (2), erhältlich bei Exile, Lintruperstr. 39, 1 Berlin 49.
Zum Schluß sei eine Wiederveröffentlichung erwähnt, die dem Rock-Spezialisten Freude macht: Der Sampler AND HERE IT IS… AGAIN stellt die besten Songs aus der Schaffenszeit der Gruppe Wire (London 77-79) neu vor, die (gemeinsam mit Joy Division) die schwarzgekleidete Post Punk-Kultur begründet haben dürfte. Lobenswert die Songauswahl, die Info-Schnipsel und nicht zuletzt das auf den Punkt treffende Cover. (Diese und alle deutschen Platten im Vertrieb Das Büro, Fürstenwall 44, 4 Düsseldorf.)
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