Rock-Spezialitäten

Dem Rock-Spe2iaiisten ist das Pariser New Rose Label seit einigen Jahren ein fester Begriff. Zwar bietet das Label kaum einheimische Acts, dafür gebührt ihm das Verdienst, ausgewählte Produkte aus Übersee in Europa erhältlich zu machen, die andernfalls vom Dollarkurs überteuert oder unbekannt geblieben wären.

Ein repräsentativer Querschnitt durch das 85er-Angebot von New Rose liegt nunmehr als attraktiv gestaltetes Doppelalbum vor, gepreßt in rotem Vinyl und verpackt in schreiend-rosa Karton-Box. Plan 9, Sacred Cowboys, Orson Family u.a. sind auf LA VIE EN ROSE vertreten; der überragende Chris D. (siehe letztes Heft) gar mit einem bisher unbekannten Stück. Für Einsteiger sehr empfehlenswert (5).

Neu bei New Rose ist die erste Solo-LP des Chrome-Leaders Dämon Edge mit demselben, hypnotisch-treibenden Schlagzeug-Beat, der schon die letzte Chrome-LP tanzbar gemacht hat. San Franciscos langjährige Kultfigur verzichtet auf Experimente und kommt auf ALLIANCE geradeaus und rockig nach acht Jahren Chrome hat die Zeit den Meister eingeholt (3).

Die Musik von Martin Rev dagegen klingt noch heute so ungewöhnlich wie zu der Zeit, als er gemeinsam mit Alan Vega als Suicide auftrat: Revs instrumentale Solo-LP CLOUDS OF GLORY bezieht sich stark auf die minimalisierten Synthi-Formeln der Suicide-Zeit, wobei sein bedächtiger Umgang mit Sound-Effekten der Musik einen intensiven, doch unaufdringlichen Charakter gibt (4). (New-Rose-Platten gibt’s bei einschlägigen Indie-Importdiensten wie Rough Trade, Wishbone oder Groovers Paradise).

Der Amerikaner Richard Hell trägt sich selbst zu Grabe: „He’s tired of hell and he’s moving on“, verrat der selbstverfaßte Klappentext seines nur auf MC erhältlichen Nachlasses, den das New Yorker ROIR-Label unter dem Titel R.I.P. jüngst veröffentlichte. Neue Songs und unbekannte Versionen aus den Jahren 75-84 machen diese Sammlung zu einem Muß für Heil-Fans und Frühpunk-Sammler. Leider teuer und schwer zu finden (5).

An den gleichen Fan-Kreis wenden sich die windigen Plattenmacher, die, gut fünf Jahre nach Auflösung der Band, nun plötzlich unveröffentlichte Aufnahmen der Sex Pistols in die Läden bringen: Auf dem Chaos-Label erscheint ein Mini-Album mit sechs (von der Bollocks-LP bekannten) Songs in der Demo-Urfassung vom Juli 76. Johnny Rottens Gesang ist stark im Vordergrund, die Gitarre dagegen fast schüchtern. Gute Alternativ-Versionen.

Für den Sammler vielleicht noch interessanter dürfte die Single/Maxi „Land Of Hope & Glory“ sein, die nach jahrelangen rechtlichen Querelen nun endlich erscheinen darf. Der erste Pistols-Produzent Dave Goodman produzierte die Version des britischen Nationalheiligtums 1976 unter Mithilre des London Symphony Orchestras und nahm damit zumindest einen Gag späteren Rock ’n‘ Roll Swindles vorweg. Von den gepreßten gut sechs Minuten bestreiten die Pistols zwar nur zwei Minuten wüstes Gitarrengedresche, aber die Message macht’s. Beides Fan-Platten, also keine Wertung.

Blff Bang Pow! kommen aus dem Stall des Londoner Creation-Labels, dessen Gruppen von der englischen Presse hoch geschätzt werden. Die LP PASS THE PAINT-BRUSH, HONEY bringt acht starke Songs, die von liebevoller und unaufwendiger Produktion profitieren. Eine der besten UK-Psychedelic 60s-LPs mit typisch britischem Understatement anstelle amerikanischer Luftblasen (5).

Televlsion Personalities, die ideellen Urväter des Creation Labels, haben z.Zt. keine neuen Songs und vertrösten ihre Fans mit dem auf der letzten BRD-Tour aufgenommenen Live-Set CHOCO-LAT-ART. Die Dreier-Besetzung klingt transparent und kleidsam für die TVP-Favoriten in neuer Version. Übrigens das Debüt des neugegründeten Pastell-Labels (Kontakt: Ehrenmalstr. 63, 5992 Nachrodt) (Einstürzende Neubauten, die „Erfinder“ des Metallschlagwerks, erreichen mit der neuen Maxi „Yu Hung (Fütter dein Ego)“ eine höhere Ebene. Tanzbar wie noch nie, aber ebenso konsequent wie ihre unterschätzte letzte LP. Als Überraschung ist die aus den Konzerten bekannte Cover-Version des Nancy Sinatra/Lee-Hazlewood-Klassikers „Sand“ enthalten. Das muß der Durchbruch sein (Zick Zack, 6).

Markus Oehlen, seines Zeichens Kunstmaler der „Jungen Wilden“, versucht sich auch als Musiker: Seine von Holger Hiller produzierte Maxi wendet sich gegen Drogenmißbrauch (!?) und behauptet kurz und knapp „Beer is enough“. Die Klänge stammen allesamt aus Hillers Sound-Computer, dem per Diskette gespielten Emulator. Originell! (4).

Ebenso witzig die Trash-Maxi von Chr. Bodenstein (Radierer) und Jürgen Engler (Krupps): Titel wie „Teenage Cannibal“ weisen auf Cramps-Bewußtsein hin, wobei der deutsche Gruppenname Blumen Ohne Duft (Russ-Meyer-Film) allerdings störend wirkt. Trotzdem gut! (4) (Alles bei Das Büro, Fürstenwall, 4000 D Dorf).