Rock-Spezialitäten
Vom brodelnden Asphaltteppich New Yorks dröhnt der alptraumhafte Gitarren-Blues der Swans, Sonic Youth und Live Skull herüber; drei schillernde Gruppen am Pop-Himmel, die zu den besten dieser Stilrichtung gehören.
Die Swans setzen auch mit ihrem neuen Album GREED die Tradition fort, ihre LPs mit nur einem Wort zu betiteln (nach FILTH und COP nun GREED). Vehement und wütend pochen die Swans ihren nervenzerrenden Psycho-Blues heraus, qualvoll und minimal ist der Gesang von Michael Gira, wuchtig und zeitlupenhaft kratzt die Gitarre von Norman Westberg, während ein zarter Frauenchor himmlisch seine Kreise zieht. Die Texte der Swans sind wie immer reduziert in ihrem Wortgebrauch und ergänzen sich dabei perfekt mit dem entkleideten Sound. Neu ist der Einsatz eines Pianos, das den Song „Fool“ schmückt.
Auch die neuen Kompositionen der Sonic Youth brennen energiegeladen im Ohr: Auf EVOL präsentiert die Gruppe bedrohliche Soundlandschaften, die einem Horrorfilm von George Romero entsprungen sein könnten. „Death To Our Friends“ nennen sie ein infernalisches Instrumentalstück, bei dem ein solides, klares Schlagzeugspiel dominiert. Ein detailliert beschriebener Autounfall ist Gegenstand der melodramatisch inszenierten Geschichte, die Thurston Moore in „In The Kingdom # 19“ mit leichter Ironie im Sprechgesang vorträgt. EVOL ist ein brillantes Album voller Spannung, die zwischen den Rock- und Blues-Elementen der Musik hervorbricht!
Traditionellere Rock-Strukturen weisen die Songs der Formation Live Skull auf, deren dröhnender Gitarrensound in den Clubs der New Yorker East Village zu Hause ist. BRINGING HOME THE BAIT läßt die Instrumente schleifen und im explosiven Feedback-Trauma kollidieren, wobei aber immer ein beständiger Rhythmus für Zusammenarbeit sorgt. Alle: (5, EfA-Vertrieb).
Marc Almond, der illustre Sänger mit der Vorliebe, anderer Leute Songs geschmackvoll und ambitioniert zu interpretieren, hat sich für seine Maxi „A Womans Story“ gleich mehrere Klassiker der leichten Musik gegriffen. Mit dramatischem Unterton in der Stimme und viel Elan bei der Orchestration können Almonds Versionen von Chers „A Woman’s Story“, Lee Hazlewoods „For One Moment“, Eartha Kitts „The Heel“ und Scott Walkers „The Plague“ gefallen und überzeugen! (Virgin, 4)
Lizzv Mercier Descloux, die große französische Dame mit Sex in der Stimme und viel Gefühl für Rhythmik im Körper, hat ihre Platten immer außerhalb der Heimat Paris aufgenommen. In New York mimte sie Patti Smith und machte Minimal-Rock. in Nassau/Bahamas spielte sie Funk und Samba ein, in Südafrika ging sie mit einheimischen Musikern ins Studio — und für ihr viertes Album ONE FOR THE SOUL (Polydor IMS) hat sich Lizzy nun nach Rio de Janeiro begeben. Das Resultat sind herrlich strahlende Jazz-Samba-Kompositionen mit viel Rhythmus-Akrobatik; brillant kann Lizzy ihren entspannten, vielfältigen Gesangstil zur Geltung bringen und Erotik dokumentieren. Unter den Musikern befindet sich auch Trompeter Chet Baker. (5)
Zum beschwingten Tanz animieren auch die Afro-Jazz-Rock-Rhythmen der Gruppe Club Foot Orchestra, zu deren Mitgliedern so markante Musiker wie Snakefinger (Gitarre) und Eric Drew Feldman (Keyboards) gehören; letzterer spielte in der Magic Band von Captain Beefheart. Das Album WILD BEASTS (Ralph Records/Wishbone) klingt so bunt südländisch wie die Musik von Nino Rota, die man aus den Fellini-Filmen kennnt. (4)
Während sich der Ex- Undertones-Sänger Feargal Sharkey heute mit Schmalz und Schlager ins Herz der Hausfrauen singt, gehen seine ehemaligen Mitspieler aus den Undertones-Tagen, die Brüder O’Neill, ganz andere Wege. Mit ihrer nordirischen Band That Petrol Emotion ist ihnen ein vielversprechendes Album gelungen: MANIC POP THR1LL (Demon/TIS). Wütend und zündend rocken sie über ein mit politisch-bewußten Texten besprühtes Soundfeld, wobei natürlich die harten Gitarren das Bild bestimmen. (4).
Die Ramones feiern Jubiläum: Die Minimal-Rocker haben soeben mit ANIMAL BOY (Teldec) ihre zehnte LP veröffentlicht! Und was bleibt da zu vermerken? Die Gebrüder Ramone rocken so eindeutig wie immer -— und wer ihre bisherigen neun Werke mochte, dem wird auch das zehnte gefallen, auf dem übrigens die lustige Single aus dem letzten Jahr zu finden ist — „Bonzo Goes To Bitburg“. (4)
Auch von den Cramps gibt es schon wieder Neues: zwei Maxi-Singles — „Kizmiaz“ (New Rose/SPV) und „What’s Inside A Girl“ (Big Beat/Sputnik). Während diese beiden Titel vom letzten Album der Cramps stammen, bringen die B-Seiten (auf beiden Maxis identisch!) zwei bisher unveröffentlichte Stücke, darunter eine von Poison Ivy gesungene Hershell Lewis-Komposition. Lewis ist der Mann, der mit seinen wuchtigen Horror-Filmen das Leben der Cramps so entscheidend beeinflußt hat. Von den Lewis-Klassikern BLOOD FEAST und TWO THOUSAND MAN1ACS! gibt es nun auch einen Soundtrack-Mitschnitt (Rhino/ IMS), der in keinem Cramps-Fan-Haushalt fehlen sollte! (5)
Hardrock für Psychedelic-Anhänger könnte man die Musik nennen, mit der sich der ehemalige Sänger/Gitarrist von den 13th Floor Elevators, Roky Erickson, immer wieder zurückmeldet. Ericksons, der heute bei seiner Mutter in Texas lebt, hat für seine LP DONT SLANDER ME (Enigma/Intercord-Import) auch einige Songs aus seiner jüngsten Vergangenheit neu eingespielt, wobei die Originale von „Bermuda“ und „Starry Eyes“ durch ihre rauhere Vitalität doch besser gefallen. Im ganzen wirkt der heutige Roky mit seiner Band ziemlich zahm und glatt — nur der manische Gesang erinnert an vergangene Höhepunkte. (3)
Von dem ehemaligen Bauhaus-Mitglied David J, der neben diversen Soloplatten auch Aufnahmen mit Love And Rockets und Jazz Butcher machte, liegt jetzt mit ON GLASS (Glass Recs) ein wunderbarer Querschnitt durch die gesamten Single-Veröffentlichungen des Multi-Instrumentalisten vor. Der düstere Rocker „I Can’t Shake This Shadow Of Fear“ gehört dabei sicherlich zu den besten Augenblicken der Platte. (5)
Wem der melodiöse Aspekt der letzten Hüsker Dü-Platte gefiel, und wer Gefallen fand am ruppigen US-Rock der an dieser Stelle hoch gelobten Giant Sand, für den dürfte mit Sicherheit auch die Formation Naked Prey von Interesse sein. Mit ihrem Album UNDER THE BLUE MARLIN (Zippo/TIS) dokumentieren sie jedenfalls Würde und Intelligenz beim Umgang mit dem Trio-Format Gitarre-Baß-Drums. (4)
Mehr dem traditionellen britischen Folk verbunden sind die Nightingales auf ihrem neuen Werk IN THE GOOD COLD COUNTRY WAY (Rough Trade). Mit stark in einen Rock-Rhythmus integrierten Viola-Passagen hüpfen die Nightingales bissig-humorvoll durch ihre grünen Stadtwiesen und befinden sich dabei in naher Verwandtschaft zu den großen Mekons. (4)
Im Gegensatz zu den pop-orientierten Songs ihrer letzten beiden LPs LET IT BE und TIM präsentieren sich The Replacements auf BOINK! (Glass Recs.) urwüchsig und ruppig. Kein Wunder, denn die acht Rock ’n‘ Roll-Kompositionen stammen alle aus den frühen Tagen der Band aus Minneapolis und waren bisher nur über die teuren Import-LPs und -EPs zugänglich. (4)
Zwei Gruppen der Neuzeit, die sich dem scheppernden Garagen-Beat der 60er Jahre verschrieben haben, sind die Telltale Hearts und Thee Fourgiven. Während die Hearts auf ihrem gleichnamigen Album sich mehr dem Rhythm & Blues-Aspekt zuwenden, treiben Thee Fourgiven auf VOILA im schnellen Beat-Strom — nur bei ihrer höllischen Version der Dylan-Nummer „Ballad Of A Thin Man“ drosseln sie das Tempo für einen fantastischen Psycho-Blues. Beide: (4, Lolita/Intercord-Import).
Robert Calvert, der einst bei Hawkwind für viel Space-Gefühl sorgte und mit seinem genialen Konzept-Album CAPTAIN LOCKHEED AND THE STARFIGHTERS zu mäßigem Ruhm gelangte, scheint sich heute immer mehr dem entspannten Space-Boogie hinzugeben, den er zeitlupenartig über einem schweren Elektronik-Sound betreibt. TEST-TUBE CONCEIVED (Demi-Monde/Rough Trade) wiegt mit schleifenden Instrumenten den letzten Hawkwind-Hippie in den Schlaf. (2)
Das Brüsseler Label Play It Again Sam. bekannt für seine vielseitigen Veröffentlichungen von unkonventioneller Musik, wird nun endlich auch in Deutschland vertrieben — von SPV. Zu den interessantesten Neuheiten gehören SLAVE LULLABYES vom Kalifornier Patrick Miller alias Minimal Man (pochender Elektro-Montagen-Sound. 5), TRUDGE, ein Minialbum mit orchestraler Gitarrenmusik von der US-Band Savage Republik (4); ein wüstes Drum-Electronic-Beat-Album der Belgier Grumh: NO WAY OUT (4) und die mächtige Electro-Boogie-Maxi „Let ‚em Come To Berlin“ von den kalifornischen Weathermen (5).
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