Sly & The Family Stone :: I Want To Take You Higher: Sieben Re-Releases

Soul/Pop: Digital aufgemöbelte Klassiker mit dem Gütesiegel "futuristisch frisch".

Eine drart schillernde Vita, wie die von Sly Stone, könnte selbst ein Hollywood-Drehbuchautor nicht besser ersinnen: Nach einer Weltkarriere verliert sich der Crossover-Pionier zuerst zwischen exzessivem Drogenkonsum und notorischer Unzuverlässigkeit, um anschließend für Jahrzehnte von der Bildflache zu verschwinden. Ohne den durchgeknallten Sly Stone und seine hippieske Familie wären George Clintons Projekte Parliament undFunkadelic, Mother’s Finest, Prince, Terence Trent D’Arby und Lenny Kravitz undenkbar. Gleiches gilt für Miles Davis‘ Rock-Fusion-Phase. Und hätten Public Enemy, De La Soul und Arrested Development ohne Slys Wirken dem noch jungen Pflänzchen Hip-Hop in den 8oern wesentliche lmulse geben können?

Als eine der ersten gemischtrassigen Bands lebten Sly 8c The Family Stone die multikulturelle Gesellschaft zwischen flippiger Haight-Ashbury-Boheme und seriösem Civil-Rights-Movement. Revolutionierten mit einem zwischen Rock, Funk, Jazz, Folk, Soul und Psychedelia oszillierenden Genre-Mix die Hörgewohnheiten. Führten als Erste 1971 den programmierbaren Drum-Computer ein. Bassist Larry Graham gilt als Erfinder der Slap-Technik.

Das’67er Debüt a wholenewthing 3 kann noch nicht ganz halten, was sein Titel verspricht. „Produced by S. Stewart, Songs by S.Stone“, steht auf dem Cover – noch weiß niemand, dass es sich um ein und diesselbe Person handelt. Das innovative Konzept, das Sly &The Family Stone wenig später zur Kult-Formation der San-Francisco-Szene avancieren lässt, findet sich in Ansätzen, auch wenn der damals modische Stax-Soul noch dominiert: Im satten Brass- Arrangement greift der Opener“Underdog“ Frankreichs Volkslied „Frere Jacques“ auf. „Turn Me Loose“ fusioniert Ska und Soul, wie eine Dekade später Madness, Specials und Selecter. Das psychedelische „Trip To Your Heart“ aalt sich im War Chant und Tribal Beat, der in Reservaten vor sich hin vegetierenden Native Americans. Um einiges ausgereifter präsentiert sich 1968 DANCE to the MUSIC 3 . Der hypnotische Titeltrack mit mehrstimmigem, gospeligenCall-und Response-Gesangbeschert die ersteTop-Ten-Platzierung beiderseits des Atlantiks, fungiert auch als Blaupause zukünftiger Projekte. „Colour Me True“ nimmt George Clintons stilistische Ausrichtung, das 12-minütige Paradestück „Dance To The Medley: Music 1s Alive /Dance In /Music Lover“ Miles Davis‘ Experimente mitTeo Macero vorweg. Nur wenige Monate später erscheint LIFE 5 -Sly Stone gerät in Fahrt. Prophetisch nennt sich ein Song „Into My O wn Thing“. Das Album mit den Killertracks „Dynamite“, „Love City“, „Chicken“ und „Fun“ ist wesentlich eklektizistischer angelegt als der Vorgänger. Die angenehmeren Begleitumstände des noch jungen Ruhms reflektiert ironisch „Jane Is A Groupee“. „M’Lady“, ein Selbstplagiat von „Dance To The Music“, platziert sich, wie auch der Titeltrack, unter den Top 40 der UK-Single-Charts. Ein erster Höhepunkt gelingt mit STAND! 6 .Makellos vereinen die acht Songs Pop-Enthusiasmus mit Experimentierwillen. Vier Singles wirft das Werk ab: „Stand!“, „I Want To Take You Higher“, „Sing A Simple Song“ und Slys erste Nunmmer 1 in den U SA, das später oft gecoverte und gesampelte „Everyday People“. Im harschen „Don’t Call Me Nigger, Whitey“ zeichnet sich ein Gegenentwurf zum Love- und Peace-Getue der Hippies ab. „Somebody’s Watching You“ schildert Erfahrungen mit den ausführenden Organen FBI und CIA von Richard Nixons Überwachungsstaat- nicht nur John Lennon hatte seine eigene Akte. „Sex Machine“ wühlt als tanzflächenfüllendes Instrumental von fast 14 Minuten Länge tief im Funksumpf- noch vor James Browns Klassiker gleichen Titels. Durchhalteparolen an die afroamerikanische Gemeinde nach dem Mord am Bürgerrechtler Martin Luther King sendet „You Can Make It If You Try“. Der multimediale Overkill sorgt indes für Unfrieden in den eigenen Reihen. Bis heute halten sich Gerüchte, die besagen, dass der scheidende Larry Graham einen Killer anheuerte, um Banddiktator Sly Stone aus dem Weg räumen zu lassen. Das im Januar 1972 fast drei Jahre nach STAND! veröffentlichte US-Nummer-1-Album THERE’SARlOTGOiN’oN 6 unterstreicht zwar den tiefen Rissim Gruppengefuge, darf aber trotzdem als Meilenstein gewertet werden: Sly komponiert, spielt und produziert nahezu im Alleingang. Zurückgezo gen in seiner Luxusvilla in Bei Air, bastelt Stone so lange am Nachfolger, bis sich die permanent überspielten Multitrackbänder zersetzen. Eine Drum- Machine übernimmt die Aufgaben des vor die Tür gesetzten Gregg Errico. Ein Markenzeichen , von dem der weltweite Megahit „Family Affair“, aber auch „Just Like A Baby“, „Poet“, „Time“ und das gejodelte „Space Cowboy“ profitieren. Afrikanische Wurzeln wuchern in den jazzigen Endlos-Jams von „Africa Talks To You“ und „Thank You For Talkin‘ To Me Africa“. Doch Slys offensichtlich auf Droge gereimte Refrainzeile aus „Luv’n’Haight“ sollte sich als böser Fluch erweisen: „Feeh sogood inside myself, don ‚t wanna move“. Der Verfall lässt sich nicht länger aufhalten. Für fresh 4 reißt sich der Exzentriker noch einmal zusammen. Über die sentimentale Version von Doris Days „Que Sera (Whatever Will Be)“, Slys Nachbarin, die er eine Zeitlang zum Abendessen ausführt, darf die Nase gerümpft werden. Doch „Frisky“, „In Time“ und „Skin I’m In“ verfehlen auch heute ihre clubtaugliche Wirkung nicht. Mager hingegen die Ausbeute auf Smalltalk 2 . Hierüberzeugen mit Abstrichen nur „Time For Livin“‚, „Can’t Stiain My Brain“ und „Loose Booty“.

So löblich die nahezu komplette Neuauflage mit zahllosen Bonustracks aus den Archiven einzuschätzen ist, bleibt doch die Frage: Warum veröffentlicht Sony BMG Deutschland nur drei der sieben Alben (A whole NEW THING, STAND! Und THERE S A RIOT GOIN‘ ON) als CD, während der Rest lediglich als Download verfügbar sein wird? MIKE KÖHLER >» www.slystonemusic.com Diskografie 1967 A Whole New Thing 1968 Dance To The Music 1970 Greatest Hits 1971 There’s A Rlot Goln‘ On 1974 SmallTalk 1975 High On You 1976 Heard You Missed Me, Well I’m Back (alle Epic/Sony BMC) 1979 Back On The Right Track 1933 Ain’t But The One Way